Das Fest des Ziegenbocks
Würdenträger zu jenem Mittagessen im Regierungspalast ein, um seinen Kindheitsfreund und Waffenbruder, der während der Ära die höchsten Posten in den Streitkräften innegehabt hatte und dem er das Kommando über die Region La Vega, zu der Constanza gehörte, zu einem Zeitpunkt entzogen hatte, als die letzten Widerstandsherde der in den Bergen verstreuten Invasoren noch nicht vernichtet waren, exemplarisch zu bestrafen. General Tomás Díaz hatte seither vergeblich um eine Audienz beim Generalissimus nachgesucht. Er muß überrascht gewesen sein, als er die Einladung zum Mittagessen erhielt, nachdem seine Schwester Gracita um Asyl in der brasilianischen Botschaft gebeten hatte. Der Chef grüßte ihn nicht, noch richtete er das Wort an ihn während des Essens, und er warf auch keinen Blick zum Ende des langen Tisches, wo man General Díaz, weit vom Kopfteil entfernt, zum symbolischen Zeichen dafür, daß er in Ungnade gefallen war, plaziert hatte. Als der Kaffee serviert wurde, stieg plötzlich aus dem Gewirr der Unterhaltungen, die den langen Tisch, die marmorverkleideten Wände und die Glaskörper des brennenden Lüsters überflogen – die einzige Frau war lsabel Mayer, eine trujillistische Führungsfrau aus dem Nordosten – , die dünne hohe Stimme, die alle Dominikaner kannten, mit dem beißenden Unterton, der Sturm ankündigte:
»Überrascht es Sie nicht, meine Herrschaften, daß an diesem Tisch, unter den herausragendsten Militär- und Zivilpersonen des Regimes, ein Offizier anwesend ist, der von seinem Befehlsposten abgesetzt wurde, weil er der Lage auf dem Schlachtfeld nicht gewachsen war?« Stille trat ein. Die fünfzig Köpfe, die das riesige, von bestickten Tischdecken bedeckte Viereck flankierten, erstarrten zur Reglosigkeit. Der Wohltäter schaute nicht zum Platz von General Díaz. Sein Blick ließ die anderen Tischgäste Revue passieren, einen nach dem anderen; mit einem Ausdruck des Erstaunens, weit geöffneten Augen und offenstehendem Mund bat er seine Gäste, ihm bei der Lösung des Rätsels zu helfen.
»Sie wissen, von wem ich spreche?« fuhr er nach einer theatralischen Pause fort. »General Juan Tomás Díaz, Kommandeur der Militärregion La Vega zur Zeit der kubanisch-venezolanischen Invasion, wurde mitten im Krieg abgesetzt wegen unwürdigen Verhaltens vor dem Feind. Überall auf der Welt wird ein solches Verhalten mit einem Schnellverfahren und Tod durch Erschießen bestraft. In der Diktatur von Rafael Leónidas Trujillo Molina wird der feige General zusammen mit der Blüte des Landes zum Mittagessen in den Regierungspalast gebeten.« Den letzten Satz sagte er sehr langsam, jeden Buchstaben betonend.
»Wenn Sie gestatten, Exzellenz«, stammelte General Juan Tomás Díaz mit unmenschlicher Anstrengung. »Ich würde gerne daran erinnern, daß die Invasoren bei meiner Absetzung bereits besiegt waren. Ich habe meine Pflicht erfüllt.«
Er war ein starker, kräftig gebauter Mann, aber er wirkte wie eingeschrumpft auf seinem Sitz. Er war sehr blaß, und sein Mund füllte sich ständig mit Speichel. Er schaute den Wohltäter an, aber dieser, als hätte er ihn weder gesehen noch gehört, ließ seinen Blick zum zweiten Mal über die Gäste wandern, während er eine weitere Rede vom Stapel ließ:
»Und man lädt ihn nicht nur in den Palast ein. Man versetzt ihn auch noch mit vollständigen Bezügen und allen Privilegien eines Drei-Sterne-Generals in den Ruhestand, damit er sich mit dem Gefühl der erfüllten Pflicht ausruhen kann. Und er genießt die wohlverdiente Ruhe auf seinen Viehfarmen in Gesellschaft von Ghana Díaz, seiner fünften Frau, die auch seine leibliche Nichte ist. Welch größeren Beweis für den Großmut dieser blutigen Diktatur kann es geben?«
Als er am Ende seiner Rede war, hatte der Blick des Wohltäters die Runde am Tisch gemacht. Und jetzt hielt er ihn auf den Platz von General Juan Tomás Díaz gerichtet. Das Gesicht des Chefs hatte nicht mehr den ironischen, melodramatischen Ausdruck wie noch vor einem Augenblick. Tödlicher Ernst malte sich in ihm. In seine Augen war die düstere, bohrende, erbarmungslose
Starrheit getreten, mit der er die Menschen
daran erinnerte, wer in diesem Land und im Leben der
Domi nikaner bestimmte. Juan Tomás Díaz senkte den
Blick.
»General Díaz weigerte sich, einen Befehl von mir auszuführen, und erlaubte sich, einen Offizier zu tadeln, der im Begriff war, ihm Folge zu leisten«, sagte er langsam, voll Verachtung. »Mitten in der
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