Das Feuer bringt den Tod: Thriller (German Edition)
zu weinen. Ich dachte, sie wäre sauer, weil er ihr ihre Medizin wegnimmt. Es hat noch Jahre gedauert, bis ich verstanden habe, was da wirklich passiert war. Meine Mutter fühlte sich von allen im Stich gelassen. Überfordert. Einsam. Aber sie wollte sich nicht umbringen. Sie hat gewisse Ähnlichkeiten mit Ihnen. Sie ist sehr zielstrebig. Sie weiß genau, was sie will und wie sie es bekommt. Leider ist sie auch stolz und absolut davon überzeugt, dass die Welt sich nur um sie dreht. Sie kann nicht nach Hilfe fragen, weil sie erwartet, dass man ihr Hilfe anbietet. Also hat sie beschlossen, diese Hilfe auf die einzige Art und Weise einzufordern, die sich mit ihrem Stolz vereinbaren ließ. Und sie hat sie bekommen.«
Saalfeld strich eine Falte in der Bettdecke glatt. »Soll ich es als Kompliment auffassen, dass Sie mich mit Ihrer Mutter vergleichen?«
»Wenn Sie möchten.« Katja stand auf. »Aber ich habe Ihnen eigentlich davon erzählt, damit Sie sich schon mal auf etwas einstellen können: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Ihr Sohn alles durchschaut haben wird. Er ist nicht dumm. Er wird sich wundern, warum Sie ihn angerufen haben, bevor Sie in die Badewanne gestiegen sind. Bevor Sie die Pillen schluckten. Die Antwort ist einfach. Sie wollten rechtzeitig gefunden werden. Sie hatten nur nicht damit gerechnet, dass Möhrs vor Thilo auftaucht.« Katja ging zur Tür und drehte sich noch einmal um. »Nein, das stimmt nicht. Sie wussten, dass Möhrs kommen würde, oder? Möhrs war Ihr Netz und Thilo Ihr doppelter Boden bei Ihrem kleinen Kunststück.«
Erika Saalfeld ließ stumm den Kopf hängen.
Katja öffnete die Tür. »Ich hoffe sehr für Sie, dass er Ihnen verzeihen kann. Ich weiß nicht, ob ich es könnte.«
70
Horst Johnsen schaute auf die Uhr. Es gehörte eigentlich zu seinen festen Grundsätzen, vor zwölf keinen Alkohol zu trinken. Jetzt war es nicht einmal halb elf, und er kippte sich seinen dritten Scotch hinter die Binde. Er hätte Ritter dafür die Schuld geben können, der ihm seit dem Besuch des Bullen mit seiner eingeschüchterten Quengelei in den Ohren lag, er möge doch bitte bei Burmester anrufen, um dem alten Glatzkopf die Leviten zu lesen. Doch es wäre zu simpel gewesen, Ritter für den Whisky verantwortlich zu machen. Johnsen ahnte, dass er genauso zur Flasche gegriffen hätte, wenn Ritter die Klappe halten würde. Und das gefiel ihm noch weniger. Er kam sich vor wie ein Matrose unter Deck, der dort ein Dutzend Lecks gleichzeitig mit nichts als seiner Mütze zu stopfen versuchte.
»Ich finde aber wirklich, dass du ihn anrufen solltest«, sagte Ritter und wählte damit bestimmt die sechste oder siebte Formulierung mit dem gleichen Zweck. Ritter, mit dem Johnsen zuvor schon eine Nachtschicht auf der Warte geschoben hatte, stank mittlerweile penetrant nach scharfem Angstschweiß. »Wir können doch nicht einfach nichts tun.«
»Du siehst doch, wie das geht«, entgegnete Johnsen. »Ist gar nicht so schwer. Das solltest sogar du hinkriegen.« Sie hatten sich nach Möhrs’ Abmarsch von der Veranda ins Wohnzimmer zurückgezogen und sich vor den Fernseher gepflanzt. Auf SportEins wurde ein Motorradrennen aus Japan oder Südkorea übertragen – jedenfalls von irgendwoher, wo die Leute Schlitzaugen hatten. Das aggressive Surren der hochgerüsteten Maschinen zerrte an Johnsens Nerven, doch er brachte nicht die nötige Kraft auf, um den Sender zu wechseln.
»Was ist, wenn Gernot Muffe kriegt und er nicht dichthält?«,fragte Ritter. »Der Bulle hat ihm doch bestimmt auch eine Karte dagelassen.«
»Dann sind wir erledigt.« Johnsen hatte Möhrs’ Visitenkarte in winzige Fetzen gerissen und in einem Aschenbecher angezündet. Das hatte sich gar nicht mal so schlecht angefühlt. »So dumm ist Gernot nicht. Er weiß, was auf dem Spiel steht.«
»Hast du gewusst, dass er bei einem Anwalt war?«
»Nein.« Und wenn Gernot vorher auch nur eine Andeutung in dieser Richtung gemacht hätte, hätte er ihm diese Flausen ausgetrieben. Notfalls mit Gewalt. »Schon mal darüber nachgedacht, dass er Möhrs da einen Bären aufgebunden haben könnte?«
»Nein. So was würde er auch nicht tun, glaube ich. So eine Nummer bringt er nicht. Dafür ist er zu feige.« Ritter machte sich die nächste Flasche Flensburger auf. Die wie vielte es an diesem Morgen war, konnte Johnsen nicht sagen. Er hatte irgendwann aufgehört zu zählen. »Aber meinst du, dass das stimmt? Dass die Sache verjährt ist?«
»Selbstverständlich
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