Das Feuer bringt den Tod: Thriller (German Edition)
der Aufschriften auf dem großen Wegweiser neben der Rezeption – Intensivstation , Krebszentrum , Kapelle – riefen ihr nur umso eindringlicher ins Gedächtnis, dass es im Leben nur eine einzige Garantie gab, nämlich die, dass es irgendwann endete.
Sie steuerte die Cafeteria an, um sich einen Schokoriegel zu besorgen, denn Süßes war bei ihr schon immer ein hervorragendes Mittel gegen bedrückende Gemütszustände gewesen. Beim Bezahlen klingelte ihr Handy, und sie erntete einen kritischen Blick von der Kassiererin. Sie hastete im Slalom zwischen den Tischen, an denen überwiegend alte Menschen in Morgenmänteln und Pantoffeln saßen, hindurch und hinaus auf die Terrasse der Cafeteria. Unter einem Sonnenschirm und mit ausreichendem Sicherheitsabstand zur Kassiererin nahm sie den Anruf an.
»Hi, Katja. Na, du?«
»Enzo!«
»Ich wollte mal hören, wie’s dir geht.«
Wann hatte sie sich das letzte Mal bei ihm gemeldet? Verdammt, sie wusste es nicht mehr. »Ich habe eine Menge um die Ohren.«
»Das merke ich, du treulose Tomate«, sagte Enzo in seiner typischen, stets halb begeisterten und nie auch nur ansatzweise nachdenklich klingenden Tonlage. »Muss ich mir Sorgen machen?«
»Mein Onkel ist tot«, rang sich Katja ihrerseits zu einem Geständnis durch, das sie viel zu lange aufgeschoben hatte.
»Ach du Schande! Mein Beileid. Du hörst dich auch echt gestresst an. Sicher, dass du dir nicht eine Auszeit nehmen willst?« Da war sie: die Frage, vor der sich Katja insgeheim gefürchtet hatte. »Wir könnten uns doch einen richtig netten Abend zu Hause machen. Nur wir zwei.«
»Das geht nicht.« Katja war verblüfft, wie geschmeidig ihr die Zurückweisung über die Lippen kam. »Ich muss hier noch was regeln.«
»Verstehe. Die Beerdigung und so.«
Katja schwieg, anstatt das Missverständnis aufzuklären.
»Na ja, mein Angebot steht«, sagte er. »Nur falls du Abstand brauchst.«
»Danke.« Sie überlegte, ob es nicht angebracht wäre, ihm klipp und klar zu sagen, dass sie definitiv nicht auf sein Angebot eingehen würde. Nicht jetzt, und auch nicht in absehbarer Zukunft. Doch wenn sie im Moment auf eins verzichten konnte, dann war es ein potenziell quälend langes Trennungsgespräch. Oder eine andere denkbare Variante, die noch grausamer gewesen wäre: wenn er ihre Eröffnung so stoisch zur Kenntnis genommen hätte wie die Nachricht, dass in China ein Sack Reis umgefallen war. Das konnte sie sich im Moment einfach nicht geben. »Mach’s gut.«
Sie vergeudete weder Zeit noch Energie mit der unnützen Frage, ob sie vielleicht schon das letzte Mal mit Enzo telefoniert hatte. Aber das war doch der große Vorteil von so unverbindlichen Beziehungen, wie sie eine führten oder vielleicht auch bis gerade eben geführt hatten. Dass man kein Drama daraus machen musste, wenn sie vorbei waren.
Sie fuhr mit dem Fahrstuhl in den ersten Stock und suchte in der Psychiatrie nach Zimmer 11. Dass es keine geschlossene Abteilung zu geben schien, beruhigte sie gewissermaßen, ohne dass sie genau hätte sagen können, worauf sich diese Empfindung gründete. Als ob es einen Unterschied machte, ob sie erst noch eine Sicherheitsschleuse oder so etwas in der Art passieren musste, bevor ihr Erika Saalfeld unter Umständen gleich erzählte, wie sie Frieder grausam ermordet hatte. Katja nickte einer Pflegerin zu, die in einer zum Flur hin verglasten Kabine Eintragungen in einen großen Wandkalender vornahm.
Die Tür zu Zimmer 11 war geschlossen. Katja klopfte,hörte nichts, klopfte noch einmal, hörte wieder nichts und drückte schließlich die Klinke herunter.
Gedämpftes Sonnenlicht fiel durch zugezogene Gardinen, zu schwach und zu verhalten, als dass sich die Farbenpracht des Blumenstraußes auf einem Rollschränkchen neben dem Krankenbett voll hätte entfalten können. Erika Saalfeld hingegen erweckte in keiner Weise den Eindruck von Schwäche. Sie strahlte vielmehr eine weltentrückte Würde aus, eine Königin, die den Besuchern in ihren Gemächern vorenthielt, wie sehr ihr eine geheimnisvolle Krankheit bereits zugesetzt hatte. Das Kopfteil ihres Bettes war so steil nach oben geklappt, dass sie aufrecht saß, die Hände waren auf der Decke gefaltet, um die Schultern lag ein roter Morgenmantel.
»Guten Morgen«, sagte Katja leise. »Sie wollten mich sprechen.«
Saalfeld zeigte auf einen weißen Stuhl am Fußende des Bettes. »Setzen Sie sich doch.« Ihrer Stimme fehlte die unterschwellige Angriffslust der letzten
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