Das Feuer bringt den Tod: Thriller (German Edition)
gerade von mir verabschiedet.«
»Verabschiedet? Wo will sie hin?«
Er gab ihr keine Antwort, sondern rannte los, als wäre der Teufel hinter ihm her.
59
Möhrs schellte geduldig an Erika Saalfelds Tür. Nach dem vierten Mal wandte er sich um, weil er sehen wollte, ob Borowski gegenüber bei den Liebknechts mehr Erfolg hatte. Offenbar schon. Die Stelle vor der Haustür dort, die sein Kollege vor wenigen Augenblicken mit sich und seinem Schnauzer noch ganz gut ausgefüllt hatte, war leer.
Möhrs klingelte noch einmal, doch es rührte sich nichts. »Das würde dir so passen, was?«, murmelte er. Saalfeld hatte wohl vor, mit der alten Totstellnummer durchzukommen. Nicht bei ihm.
Er umrundete einen Stapel Altpapier und ging durch den verwilderten Vorgarten auf den Carport zu. Er spähte durch ein Fenster in die verwahrloste Küche, in der sich nach wie vor dreckiges Geschirr auf der Anrichte und in der Spüle stapelte. Von Saalfeld war nichts zu sehen.
Er setzte seinen Weg fort und zwängte sich durch einen schmalen Spalt zwischen einem Stützpfosten des Carports und der Hauswand. Der Teil des Gartens dahinter war noch verwilderter. Unkraut und Wildblumen wucherten hüfthoch.Er schuf sich mit den Armen eine Schneise durch das Gestrüpp. »Frau Saalfeld!«, rief er dabei mehrfach, damit sie hinterher nicht behaupten konnte, er habe sich heimlich auf ihr Grundstück geschlichen. »Frau Saalfeld!«
Linker Hand lag eine von einer verwitterten Pergola überdachte Terrasse mit den rostigen Gartenmöbeln, auf denen Saalfeld angeblich Freitagnacht zusammen mit ihrem Sohn und diesem Liebknecht bis zum Morgengrauen gesessen haben wollte. Die Terrassentür war nur angelehnt, ihr Rollladen und der des breiten Fensters daneben halb heruntergelassen. Möhrs duckte sich und blickte in das dunkel eingerichtete Wohnzimmer, auf dessen gläsernem Couchtisch zwei offene Rotweinflaschen standen. »Frau Saalfeld!«
Er drückte vorsichtig die Terrassentür auf. Aus den Lautsprechern einer alten Stereoanlage verkündete Mick Jagger die Plattitüde, dass man nicht immer bekommen konnte, was man wollte. »Frau Saalfeld!«
Er betrat das Haus, durchquerte das Wohnzimmer und warf zur Sicherheit noch einmal einen Blick in die Küche. Nichts. Der Flur war mit Papiermüll zugestellt, kistenweise Infobroschüren und Flyer, die hier in Güstrin kaum Abnehmer fanden. Er stieß auf ein ähnlich unordentliches Büro mit einer reißzweckengespickten Karte an der Wand. »Frau Saalfeld!«
Möhrs horchte ins Obergeschoss hinauf. Die Stimmung hier gefiel ihm gar nicht. Er fühlte sich wie der Überlebende einer apokalyptischen Katastrophe, der auf der Suche nach Proviant in das Haus von Leuten eingedrungen war, die offenkundig weniger Glück gehabt hatten als er selbst. »Frau Saalfeld!«
Ein leises Plätschern irgendwo von oben – nicht lauter als das, was man aus einem Eimer gehört hätte, in den man einen frisch gefangenen Fisch warf – verriet ihm, dass er hier womöglich doch nicht allein war.
Möhrs ging die Treppe hinauf. Oben angekommen, erwarteteihn eine offene Tür. Weiße Badezimmerfliesen reflektierten schwach den warmen Schein von Kerzenlicht. Die schlanke Frau in der Wanne hatte die Augen geschlossen, ihre bläulichen Lippen waren wie zu einem langen Seufzer geöffnet. Sie war tief ins Wasser hinabgesunken, den Nacken auf ein Kissen aus genopptem Gummi gelegt. In einer Ecke des Wannenrands, zwischen Shampooflaschen und bunten Duftkerzen, schimmerte blutrot die Neige in einem großen Rotweinglas. Wie eine Marionette, an deren Fäden fremde Hände zogen, um sie in Bewegung zu versetzen, machte Möhrs einen Schritt in das Bad hinein. Er sah eine Seifenschale aus schwarzem Stein, die beiden vergessenen, unschuldig himmelblauen Tabletten darin. In der Wanne trieb ein Foto, von dem ihm ein kleines blondes Mädchen, das ein schwarz-weiß geschecktes Kaninchen an seine Brust drückte, überglücklich entgegenstrahlte.
Mechanisch beugte sich Möhrs vor und tastete am kühlen Hals der Frau nach einem Puls.
60
Möhrs schaute dem abrückenden Rettungswagen mit gemischten Gefühlen nach. Obwohl er vor Jahren mit dem Rauchen aufgehört und nur äußerst selten kurze Rückfälle erlebt hatte, verspürte er das dringende Bedürfnis nach einer Zigarette. Zum Glück rauchte sein Kollege Borowski nicht, der einige Meter entfernt auf dem Bürgersteig den völlig aufgelösten Jochen Liebknecht zu beruhigen versuchte. Erika Saalfelds Nachbar und
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