Das Feuer der Wüste
nicht sehen konnte. Wahrscheinlich habe ich mich wieder einmal geirrt. In Lüderitz gibt es wohl nicht nur zahlreiche schwarze Chevys, sondern auch mehr als einen Dodge , versuchte sie sich einzureden. Sie drehte sich noch einmal um, um dem Dodge nachzusehen. Er fuhr in einigem Abstand hinter ihnen her. Aber sie musste sich ohnehin getäuscht haben. Schließlich lag der Schlüssel des Wagens in ihrem Zimmer in der Pension.
Margaret hatte während der ganzen Fahrt geschwiegen, jetzt wandte sie sich doch an Kramer. »Ruth hat recht, nicht wahr?«, fragte sie. »Sie wollen den Stein nicht für sich. Ihr Vater hat Sie geschickt. Er hat Sie unter Druck gesetzt, hat Ihnen gesagt, dass Sie ein Versager sind, wenn Sie das ›Feuer der Wüste‹ nicht zu ihm bringen. Aber das stimmt nicht, junger Mann. Warum holt sich Ihr Vater den Stein nicht selbst? Warum schickt er Sie vor?«
»Schnauze!«, brüllte Henry Kramer und riss den Wagen zur Seite. »Schnauze, da hinten! Shut up! «
Ruth und Margaret sahen sich kurz an. Sie hatten offensichtlich Kramers Achillesferse gefunden. »Erzählen Sie mir von Ihrem Vater«, ergriff Margaret erneut das Wort. »Wie ist er? Sind Sie ihm ähnlich? Und was ist mit Ihrer Mutter?«
»Das geht dich gar nichts an, Alte!«, brüllte Henry. »Halt endlich die Schnauze!« Aber dann, als sie an einer Straßenkreuzung warten mussten, begann er doch zu sprechen: »Meine Mutter! Sie war schwach, hat alles gemacht, was der Alte gesagt hat. Er hat sie betrogen, hat seine Weiber mit in unser Haus gebracht, und meine Mutter hat für sie die Betten frisch bezogen und ihnen auch noch das Frühstück gemacht.«
»Und Sie, junger Mann?«
Er zuckte mit den Schultern. Die Kreuzung war frei, sie fuhren weiter. »Ich? Ich war wütend auf ihn, aber ich habe nichts gewagt. Bettnässer war ich bis zum Schuleintritt, und der Alte hat mich deswegen ausgelacht. Einmal hat er das nasse Laken über einem Glas ausgewrungen und mich dann gezwungen, die eigene Pisse zu trinken.«
»Und?«, fragte Margaret Salden vorsichtig weiter. »Haben Sie sie getrunken?«
Ruth staunte, wie einfühlsam ihre Großmutter Henry Kramer zum Sprechen gebracht hatte.
»Was hätte ich denn machen sollen? Herrgott, ich war sechs Jahre alt. Gekübelt habe ich danach. Über sieben Beete und mir den Mund danach mit Seife auswaschen müssen.« Er trat auf das Gaspedal, als wolle er den Wagen für seine traurige Kindheit bestrafen.
»Das muss sehr hart für Sie gewesen sein. Ich kann gut nachfühlen, dass Sie jetzt das Bedürfnis haben, Ihrem Vater etwas zu beweisen.«
Henry Kramer sagte nichts, doch er nickte.
Sie näherten sich inzwischen dem Hafen, bretterten an Lagerhallen und Containern vorbei. Am Kai lagen nur wenige Schiffe, und von denen stammten die meisten aus dem Ausland. Es waren zwar auch hier einige Menschen unterwegs, und doch war sich Ruth sicher, dass von ihnen keine Hilfe zu erwarten war. Warum sollte sich ein Matrose aus Gdansk oder Dublin auch um zwei weiße Frauen in Namibia kümmern?
Am Ende der Hafenstraße hielt Kramer den Wagen an. Er stieg aus, schloss die Türen ab und verschwand in einer brüchigen Hütte.
Ruth rückte ihr Gesicht so nahe wie möglich ans Fenster, um das Schild vor der Hütte lesen zu können. »Motorbootverleih und Taucherausrüstungen«, entzifferte sie mühsam die teilweise abgeblätterten Buchstaben. »Oh mein Gott! Was hat er vor? Will er etwa ein Boot leihen? Hat er tatsächlich vor, jetzt raus zur Halifaxinsel zu fahren? Können wir ihn denn nicht stoppen? Was er vorhat, ist doch Wahnsinn!«
Margaret Salden zuckte schicksalsergeben mit den Schultern. Sie war so blass, ihre Augen so tief umschattet, dass Ruth sich um sie sorgte. »Gibt es etwas, das ich für dich tun kann?«, fragte sie.
»Mit mir ist alles in Ordnung. Aber wie geht es dir?«
»Ich habe Angst«, gab Ruth mit zitternder Stimme zu. »Er wird mich zum Tauchen zwingen. Ich kann gut schwimmen, aber ich fürchte mich vor den Haien.« Ihre Worte klangen fremd in ihren Ohren. Die Angst hatte sich wie ein Felsbrocken auf ihre Brust gelegt, drückte ihr die Luft ab.
Neunzehntes Kapitel
H oratio schwitzte. Trotz der drückenden Hitze hatte er eine lange schwarze Hose und ein langärmeliges schwarzes T-Shirt angezogen, denn ein Mann seiner Hautfarbe war am unauffälligsten, wenn er schwarze Sachen trug. Horatio hatte das bereits am eigenen Leib erlebt. In Windhoek hatte in einer Sommernacht – er war gerade aus der Bibliothek
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