Das Feuer der Wüste
sie beide mit ganzer Kraft, doch nur einer von ihnen war dazu bestimmt, die Menschen zu leiten. Also stellte er ihnen eine Aufgabe. Sie sollten am nächsten Morgen zum nahen See gehen und darin baden. Das Wasser sollte entscheiden, wer der wahre Herrscher über die Menschen sein sollte.
Zonga, der feinfühligere, ehrgeizigere der Söhne, nutzte die Nacht, um an sein Ziel zu gelangen. Am nächsten Morgen erreichte er den See, noch bevor die Sonne aufgegangen war. Er stieg ins Wasser und erlebte eine Überraschung: Das Wasser wusch allen Dreck und Staub von ihm ab, sodass er weiß wie eine Lilie wurde.
Manicongo, der älteste Sohn, war die Ruhe und Gelassenheit selbst. Er liebte das Leben mit seinen Überraschungen und Vergnügungen. Als er den Auftrag seines Vaters erhielt, ließ er sich ein kräftiges Mahl kochen, trank ein paar Flaschen Wein, sang und tanzte die halbe Nacht hindurch. Als der Morgen graute, ging er zu Bett, und als er aufwachte, war es schon Mittag. Er eilte zum See, so schnell er konnte, und wollte darin eintauchen. Doch der See war nicht mehr da. Nur eine winzige Pfütze erinnerte noch an ihn. Manicongo sprang in die Pfütze, griff mit den Händen nach dem Wasser, doch nur seine Handflächen und die Sohlen der Füße färbten sich weiß.
So beschloss Gottvater, dass der ehrgeizige Zonga die Herrschaft über die weißen Menschen bekam und der lebenslustige Manicongo die über die schwarzen Menschen. Zonga ging über den Ozean und regierte sein Volk, vermittelte ihm seine Stärken. So kam es, dass die Weißen reicher und reicher wurden. Manicongo sollte über die Schwarzen regieren, und er tat es, so gut er konnte. Und so kommt es, dass die Schwarzen am liebsten gut essen, trinken, singen und tanzen.
Nun, Ruth, was sagen Sie dazu? Wer von uns hat es besser getroffen?« Horatio sah sie an.
»Wir haben wohl beide nicht das große Los gezogen.« Ruth zuckte mit den Schultern. »Wer nur arbeitet und das Vergnügen nicht kennt, hat wenig vom Leben. Und wer sich nur vergnügt und die Arbeit nicht kennt, hat auch nicht gerade viel von seinem Dasein. Die Mitte macht es.« Sie sah Horatio an. »Euer Gott ist ein Dummkopf, denke ich.«
Horatio lachte. »Oh nein! Das ist nicht unser Gott, der das entschieden hat. Es muss der Ihre gewesen sein. Wir haben zwei Gottheiten – eine gute und eine böse. Beide zusammen bestimmen das Schicksal der Menschen. Tsui-Goab, der gute Gott, wohnt im roten Himmel, also dort, wo die Sonne aufgeht; Gaunab, der böse Gott, ist verantwortlich für Krankheiten, Unglücksfälle, kurz: für alles Böse, das den Namas wiederfährt.«
»Ja, ich weiß, der gute Gott mit dem heiligen Feuer.«
»Genau, Tsui-Goab, der Gott, der das Feuer der Sonne hütet. Bei meiner Arbeit bin ich auf einen Hererostamm gestoßen, der einen etwas anderen Glauben hat. Früher nämlich, in den alten Zeiten, sprachen die Hereros nur ihre eigene Sprache, Otjiherero. Damals nannten sie die Weißen ›Otjirumbo‹, was so viel wie ›dickes, fahles Ding‹ bedeutete. Die ersten Weißen kamen über das Meer. Das Meer aber war für die Hereros das Totenreich. Wer also aus dem Totenreich zurückkehrte, musste der mächtigste der Götter sein. Das schwarze Volk unterwarf sich diesen weißen Geistern auf der Stelle und machte es ihnen somit leicht, die Hererogebiete zu erringen.«
»Ist mein Volk jetzt schuld daran, dass euer Volk so abergläubisch ist?«
Horatio schüttelte den Kopf. »Nein, das wohl nicht. Ich stelle mir nur vor, wie es wohl sein muss, wenn man fremdes Land betritt, dort ehrfürchtig empfangen und wie ein Gott behandelt wird und diese Freundlichkeit ausnutzt.«
»Pff!«, machte Ruth. »Sparen Sie sich Ihre Sprüche! Sie haben selbst gesagt, dass die Weißen Ehrgeiz haben, die Schwarzen dagegen lieber das Leben genießen. So ist es auch. Jeder ist seines Glückes Schmied. Im Übrigen gibt es auch Schwarze, die ihr Glück gemacht haben. Haben Sie sich einmal überlegt, wie vielen es jetzt besser geht als je zuvor? Die Kinder können zur Schule, ihre Eltern wohnen in Häusern, müssen das Vieh nicht mehr durch das dürre Veld treiben. Es gibt Ärzte, eine Eisenbahn, halbwegs ordentliche Straßen. Das alles haben die Weißen ins Land gebracht.«
Horatio schwieg.
»Was ist?«, fragte Ruth herausfordernd.
»Nichts«, erwiderte er. »Ich wünsche mir nur manchmal, dass wir einander besser verstehen, dass die Schwarzen und die Weißen miteinander Freund sind und nicht ständig gegeneinander
Weitere Kostenlose Bücher