Das Fliederbett
Weise sollten wir drei Monate lang reisen! Drei Monate. Wir hatten in Junosuanda Premiere gehabt, am selben Tag, als man nach der Vorstellung Tanz veranstalten wollte und die drei Musiker nicht kamen. Waren schon auf halbem Wege, kehrten aber plötzlich wieder um. Nichts Ungewöhnliches, sagte der Inhaber des Lokals. Musiker seien empfindliche Leute und kriegten leicht die Lappen-Krankheit.
Damals hatten wir noch über die Lappen-Krankheit gelacht. So ungefähr, wie man sich als junger Mensch über Altersschwäche lustig macht. Etwas Fernes, das uns überhaupt nichts anging. Jetzt saßen wir hier in einer alten, ausgedienten Diplomatenkarre, die früher im Dienst der französischen Botschaft gefahren wurde — ein Wagen, der bessere Zeiten gesehen hatte und sich jetzt resigniert mit seinem Schicksal abfand. Hier saßen wir also und fummelten mit kalten Händen an sämtlichen Finessen des Autos herum: einem alten Telefon zwischen Chauffeur und Fahrgast, Griffen aus irgendeinem vergoldeten Material, hier und da hingen Goldschnüre wie schmutzige Girlanden. Ledersitze, die einem den Hintern abkühlten — und wahrhaftig, wahrhaftig ein Barschrank. Leer.
Wir waren mit dem Wagen in Stockholm zufrieden gewesen. Hatten ihn während der fröhlichen Probezeiten immer wieder angesehen. Fanden es geradezu luxuriös, die Tournee im Auto zu machen. Fantasierten von exklusiven Getränken im Barschrank... und jetzt hatten wir vergessen, ihn zu füllen. Es gab keinen Staatsausschank vor Kiruna, also in frühestens einer Woche. Nicht einmal daran hatten wir gedacht. Allmählich merkten wir, wie alle Tatkraft verdunstete, eine eigenartige Schlaffheit, eine Art Trancezustand hatte uns ergriffen. Schon jetzt...
Wir waren mit der französischen Komödie >Drei< auf Tournee. Wir, das heißt Björn, der auch fuhr, Lola und ich. Das Bühnenbild lag auf dem Wagendach festgeschnürt, und die losen Requisiten füllten den Gepäckraum. Unser eigenes Gepäck lag auf dem Boden vor uns aufgestapelt. Das war jetzt unsere Welt.
»Dann ist die nächste Station also Korpilombolo«, sagte Björn.
»Wieviel Kilometer noch?« fragte Lola, und mir fiel auf, wie schwer es ihr während der letzten Tage geworden war, auch nur die einfachsten Worte hervorzubringen. Es lag eine kleine Angst in ihrem Tonfall und ihren Handlungen. Sie war an den langen Reisetagen angespannt, wurde aber abends bei den Vorstellungen auf gelockert.
Sie hatte Angst, ich spürte ihr Grauen — und mein eigenes. Zu Anfang hatte alles so leicht ausgesehen; wir waren drei junge Leute, die gute Rollen in einem guten Stück hatten, und uns war die große Gunst zuteil geworden, drei Monate lang auf Tournee gehen zu können! Es war eine unsrer ersten Aufgaben, sie erschien uns gewaltig und verantwortungsvoll. Wir waren von all dem Neuen berauscht und wußten nichts über die Orte, die wir besuchen sollten. Die Probezeit war über Erwarten gut verlaufen, und wir kamen gut miteinander aus, obwohl wir uns noch nicht ganz kennengelernt hatten. Natürlich dachte man gelegentlich an die öde Landschaft, aber damals war das nur schön, großartig und befreiend. Wir hatten die Karten studiert und die fremden, fast exotischen Namen gelesen: Jukkassjärvi, Nattavara, Vettasjärvi. Namen, die nichts von der Kälte, der Isolierung, der Dunkelheit und der großen Stille ahnen ließen. Die alles umfassende Stille... sie war am schlimmsten. Gegen die Kälte konnte man sich mit drei Paar langen Unterhosen wehren — der Stille konnte man lediglich seine eigene Stummheit entgegensetzen.
Und man hatte gedacht: Wir sind nur wir drei. Wir werden nur zu dritt sein, und es gilt, uns gegenseitig zu helfen und zusammenzuhalten. Man hatte gedacht: Vielleicht wird es schwer sein zu dritt draußen in der Fremde mit allem Neuen, aber es muß eben gehen. Irgendwie werden wir es schon schaffen. Es wird schwer sein, die notwendigen Kontakte zu finden, aber wir würden schließlich nicht die ersten sein, die ihre Gefühle in Kunst sublimierten. Und die Kunst winkte mit ihrem großen Anfangsbuchstaben froh in unseren Träumen, und drei Monate, Herrgott, drei Monate waren nur ein Fliegenklecks im großen Lebensfluß. Die würden schnell vergehen, und wir würden Theater spielen, wir würden die Chance bekommen zu zeigen, wozu wir ohne das Sicherheitsnetz der Schauspielschule taugten.
»...und stellt euch vor, wieviel Geld ihr zusammensparen könnt«, sagte die alte Schauspielerin. »Dort oben gibt es keine
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