Das Flüstern der Stille
Auf ihre Art wird sie es ihnen mitteilen.
Deputy Sheriff Louis
Antonia beschreibt mir noch einmal Callis Lieblingsorte in den Willow Creek Woods, und ich schreibe sie mir in mein Notizbuch, auch wenn das eigentlich nicht nötig ist. Ich kenne die Orte; wir beide sind hier aufgewachsen und haben in diesen Wäldern gespielt, seit wir alt genug waren, allein herumzulaufen. Ich kenne jede Höhle und Schlucht so genau wie die Linien in Antonias Gesicht. Ich kenne die Wege, wie ich die Landkarte kenne, die Antonias Haut für mich ist.
Mein Handy klingelt, und ich überlege, ob ich es ignorieren soll, aber es könnte jemand mit neuen Informationen über die Kinder sein. Also gehe ich ran und höre am anderen Ende meine Frau.
„Loras, was machst du?“, fragt sie ungeduldig.
„Arbeiten“, antworte ich und drehe mich von Toni und Martin weg.
„Heute ist dein freier Tag“, erinnert sie mich. Ich antworte nicht, weil ich weiß, dass sie noch mehr zu sagen hat.
„Lou?“ Toni tritt zu mir und legt mir eine Hand auf die Schulter. „Gibt es was Neues?“
„Wer ist das?“, fragt Christine. „Ist das Toni Clark? Loras, was ist hier los? Bist du bei ihr?“
„Ich arbeite“, wiederhole ich. Ich weiß, dass ich mich meiner Frau gegenüber sehr kühl benehme, aber das hier ist ernst. Zwei Mädchen sind verschwunden, und ich muss mich darum kümmern, auch wenn eines der beiden die Tochter meiner Exfreundin ist.
„Loras, du musst nach Hause kommen.“ Christines Stimme ist gefährlich leise. „Du hast dich seit Tagen nicht mehr um Tanner gekümmert.“
„Ich kann im Moment nicht“, sagte ich mit professionellem Ton in der Stimme, als würde ich mit unserer Vermittlung sprechen. Warum benehme ich mich so? Wieso will ich nicht, dass Toni erfährt, dass ich mit meiner eigenen Frau spreche?
„Loras.“ Christine ist den Tränen nahe. „Du sprichst mit deiner Frau, nicht mit einem deiner Deputies. Ich muss wissen, was los ist.“
„Das ist im Moment nicht möglich. Ich melde mich später wieder.“
Christine explodiert. „Verdammt, Loras, hör auf damit! Interessieren wir dich denn gar nicht?“ Ihre Stimme schrillt aus dem Telefon, und ich weiß, dass Toni und Martin sie hören können. Sie schauen beide zu Boden, schämen sich für mich. „Schmeißt du unsere Ehe weg?“, schimpft sie weiter. „Du bist bei ihr, nicht wahr? Du wirst unsere verdammte Ehe noch ruinieren wegen dieser traurigen, dummen Frau, die weder ihren Mann vom Trinken abhalten noch sich ordentlich um ihre Kinder kümmern kann.“
Ich spüre Tonis Hand auf meinem Arm und schaue sie an, erwarte, dass sie versucht, mir das Telefon zu entreißen und Christine die Meinung zu sagen. Aber das tut sie nicht. Stattdessen zeigt sie auf den Waldrand. Ich folge ihrem ausgestreckten Finger mit meinem Blick und lege einfach auf, ohne mich von Christine zu verabschieden.
Zwischen den Bäumen erblicke ich Calli. Zu sehen, wie der Kummer von Antonias Gesicht fällt, als sie realisiert, dass ihre Tochter auf uns zukommt, schickt eine Woge der Erleichterung durch meinen Körper. Ich kann es nicht ertragen, wenn Antonia Schmerzen hat, egal, was für welche. Sie hat schon viel zu viel ertragen. Calli und Ben sind Antonias Leben, sogar ihr unnützer Ehemann hat nicht die gleiche Priorität, da er sich lieber um eine Dose Bier kümmert und um einen Platz, wo er herumlungern kann.
Calli tritt aus dem Wald, und ich sehe, dass Martin weiter hoffnungsvoll auf die Bäume starrt, die Weißdornhecken absucht, die den Bobcat Trail säumen. Niemand folgt Calli, noch nicht. Als sie neben mir stehen bleibt, scheint sie unverletzt. Sie könnte jedes siebenjährige Mädchen sein, das Verstecken gespielt hat, abgesehen von zwei Dingen. In der rechten Hand hält sie eine Silberkette mit einem Anhänger in Form einer Note. Die Kette gehört Petra, das weiß ich, denn ihre Mutter hat sie mir in allen Einzelheiten beschrieben, als sie mich heute Morgen um halb fünf anrief, um mir mitzuteilen, dass Petra aus ihrem Kinderzimmer verschwunden ist. Wie in solchen Fällen üblich, habe ich auch ein Foto des Mädchens bekommen und eine Beschreibung ihrer Kleidung, die sie anhatte, als sie zum letzten Mal gesehen wurde. Kurzer, blauer Schlafanzug, weiße Unterwäsche mit gelben Blumen und, natürlich, die Kette. Petras weiße Turnschuhe waren ebenfalls vermisst gemeldet worden. Martin hat die Kette auch gesehen und verliert kurzfristig die Fassung, fängt sich aber schnell wieder.
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