Das Flüstern des Windes (German Edition)
er Murans Blicke spüren.
Nachdem er alle Wunden gesäubert hatte, brachte er den Eimer zum Rand der Grube und nahm den Salbentiegel, den Muran ihm entgegenstreckte. In den Augen des Aufsehers lag ein Ausdruck, den Karem erst nicht deuten konnte, aber schließlich entdeckte er die Angst darin.
»Was ist, Junge? Ist er schwer verletzt?«, fragte Muran heiser.
»Ja.«
»Wird er sterben?«
»Ich weiß nicht.«
»Geh jetzt und behandle ihn mit der Salbe!«, befahl Muran unwirsch, um seine Furcht zu überdecken.
Karem ging zurück zur Mitte der Grube. Diesmal machte er sich nicht die Mühe, besonders vorsichtig aufzutreten. Wenn der Ork durch die Waschung nicht aufgewacht war, dann würde er auch weiterhin bewusstlos bleiben.
Der Korken saß fest. Karem musste ihn mit den Zähnen herausziehen. Vorsichtig fasste er mit seiner schmalen Hand hinein. Seine Finger nahmen etwas Salbe auf, die er behutsam auf die größte Wunde auftrug. Er war so konzentriert, dass ihm nicht sofort auffiel, dass der Ork den Kopf gedreht hatte und ihn aus offenen, blutroten Augen anstarrte. Ein tiefes Grollen ließ ihn aufschrecken. Ketten rasselten, als die mächtige Hand des Orks vorzuckte und ihn am Arm packte. Karem hatte das Gefühl, sein Herz würde vor lauter Angst stehen bleiben.
Das Gesicht des Untiers schob sich näher. Stinkender Atem schlug ihm entgegen. Die riesigen Reißzähne, die aus der Unterlippe wuchsen, wurden gebleckt. Karem war unfähig, sich zu bewegen. Er versuchte erst gar nicht, sich zu befreien, sondern erwartete den Tod.
»Schmerzen!«, knurrte der Ork.
Karem war so fassungslos, dass er das Wort nicht verstand. Nur langsam dämmerte ihm, dass der Ork ihn angesprochen hatte.
Muran hatte beobachtet, wie das Tier Karem gepackt hatte. Er wagte nicht, seine Peitsche einzusetzen. Nicht nur, dass er dadurch den Jungen gefährdete und ein toter Sklave war genug für einen Tag, er hatte auch Angst, den Ork noch schwerer zu verletzen. Unfähig, eine Entscheidung zu treffen, stand er da und glotzte dumpf auf die Szene herab.
»Schmerzen!«, wiederholte der Ork.
»Ja, ich weiß«, antwortete Karem mit zitternder Stimme.
»Helfen!«
Der Junge nickte hastig. »Ich will dir helfen. Ich habe deine Wunden gewaschen, und diese Salbe wird dich heilen und dir die Schmerzen nehmen.«
»Gut!«, brummte der Ork. Seine Hand löste sich von Karems Arm.
Im Kopf des Jungen jagten sich die Gedanken. Sollte er versuchen zu fliehen? Nein! Wenn er zu langsam war, würde der Ork ihn wieder packen, und diesmal würde er ihm bestimmt den Kopf abreißen.
Seine Hände zitterten so stark, dass er den Tiegel fallen ließ und erst wieder aufheben musste. Noch behutsamer als zuvor strich er mit den Fingern die Salbe zwischen die Wundränder. Als er fertig war, blieb er unschlüssig stehen.
Die Augen des Orks suchten seinen Blick.
»Geh!«
Karem rannte, so schnell er konnte, zum Rand der Grube. Ohne den verblüfften Muran zu beachten, stürmte er an ihm vorbei und hetzte in seine Unterkunft, wo er sich mehrmals in den Urineimer übergeben musste.
Karem kauerte noch immer gebeugt über dem Eimer, als Muran die Unterkunft betrat. Er hob den Blick, als der Aufseher vor ihn trat.
»Ab heute bist du der Orkwächter. Jeden Tag nach deiner normalen Arbeit wirst du zur Küche gehen und dem Ork die Abfälle bringen. Zusätzlich wird jeden zweiten Tag das Wasserrad angehalten, und du reinigst seinen Laufweg!«
»Warum ich?«, wagte Karem zu fragen.
»Ganz einfach!« Ein breites Grinsen überzog das Gesicht des Aufsehers. »Das Monster hat dich gepackt und du lebst noch!«
Als Karem am nächsten Abend mit einem Eimer voll stinkendem Küchenabfall und zitternden Knien zur Laufgrube stapfte, war sein Gesicht leichenblass.
Den ganzen Tag hatte er überlegt, ob er Farcellus selbst bitten sollte, ihn von dieser Aufgabe zu entbinden, aber eine innere Stimme sagte ihm, dass jede Hoffnung in diese Richtung sinnlos war. Der römische Gutsherr würde den Verlust eines Knaben sicher besser verschmerzen, als einen weiteren erwachsenen Sklaven zu riskieren.
Karem wunderte sich noch immer, warum der Ork so schlecht behandelt wurde. Schließlich hatte er eine Menge Gold gekostet, aber in der Küche hatte der Junge erfahren, dass Farcellus das Monster jetzt schon als Gewinn verbuchte. Bevor der Ork an die Wasserpumpe gekettet worden war, hatte die schwere Arbeit den Römer jedes Jahr drei teuere Pferde gekostet. Totale Erschöpfung und Infektionen
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