Das Flüstern des Windes (German Edition)
verantwortlich und würde gekreuzigt werden, sollte der Ork eingehen.
»Es wird wehtun«, sagte Karem, aber er bekam keine Antwort.
Mit dem Lappen umfasste er die erste pfirsichgroße Zecke. Das Tier spürte die Berührung und versuchte verzweifelt, sich tiefer ins Fleisch zu bohren, woran sie aber durch ihren eigenen aufgequollenen Körper gehindert wurde. Karem drehte sie abrupt hin und her, damit sich die Beißzangen lösten, dann riss er sie mit einem Ruck heraus. Er warf das Insekt auf den Boden und zertrat es. Das ausgesaugte Blut spritzte in den Sand. Der Ork hatte nicht einmal gezuckt.
Karem zählte elf Zecken, bis er den Rücken von ihnen befreit hatte. Zum Schluss spuckte er, so wie es ihm sein Vater beigebracht hatte, auf jedes der Zentimeter großen Löcher, um mit seinem Speichel den Heilungsprozess zu beschleunigen.
Leider hatte er Murans grüne Salbe nicht mehr. Der Aufseher hatte sie wieder weggeräumt, und Karem hatte nicht den Mut, danach zu fragen.
»Ich bin fertig«, murmelte der Junge.
Der Ork wandte sich wieder um und starrte Karem auf seine merkwürdige, ruhige Art an.
»Mein Name ist Crom«, sagte er.
»Ich bin Karem.«
Beide schwiegen erneut.
»Woher kannst du unsere Sprache?«, wollte der Sklavenjunge wissen.
»Mein Vater, Throomak, Häuptling, großer Jäger, macht Handel mit Menschen. Felle von Silberwolf und Urik gegen Eisenwaffen. Ich immer dabei. Lausche. Lerne. Worte merken. Sprechen schwer.«
»Warum hast du nie zu den anderen Menschen gesprochen? Alle denken du bist stumm.«
Crom fletschte die Zähne und entblößte seine riesigen Hauer. Ein tiefes Knurren erklang. »Menschen böse. Ich töte. Alle!«
»Du hast mich nicht getötet. Warum nicht?«
»Du nicht böse. Du nicht schlagen Crom. Du Crom schlagen, ich töte dich!«
»Ich werde dich nicht schlagen.«
»Gut. Bitte, anderen Menschen nicht sagen, Crom sprechen.«
»Warum nicht?«
»Crom will nicht sprechen. Menschen hassen. Früher denken, Menschen gut. Glitzernde Dinge schenken. Wasser, das Träume macht, geben. Aber jetzt, sie schlagen mich. Ich hasse sie.«
»Nicht alle Menschen sind böse.«
»Trotzdem versprechen, nicht sagen, anderen Menschen, Crom versteht Worte.«
Der Junge sah, dass es dem Ork ernst mit seiner Bitte war.
»Ich verspreche es dir.«
»Gut.«
»Aber jetzt muss ich hier sauber machen. Wenn Muran kommt, und ich bin nicht fertig, lässt er mich die Peitsche spüren.«
Der Ork brüllte auf. Karem fuhr entsetzt zurück, als das riesige Wesen sich aufrichtete und irgendetwas in seiner fremden, kehligen Sprache brüllte. Schließlich hatte sich der Ork beruhigt und ging neben Karem in die Hocke.
»Ich, Crom, töte Muran!«
Das würden dir alle Sklaven der Plantage danken, aber Muran war nicht so dumm, die Grube zu betreten und sich in die Reichweite der riesigen Pranken zu begeben. Er besaß den natürlichen Instinkt eines Raubtieres, das stets wusste, wann Gefahr drohte. Muran zu töten, Karem lächelte bitter, davon träumte jeder von Farcellus Sklaven.
2.
Die Jahre waren schnell vergangen. Jeden Tag war Karem zu der Grube gegangen, um den Ork zu füttern, und jeden Tag wurde seine Furcht vor dem riesigen Wesen ein wenig kleiner und seine Zuneigung größer.
Oft stahl Karem Essen aus der Küche oder gab Crom die Hälfte seiner eigenen spärlichen Portionen, weil er nicht mit ansehen konnte, welcher Fraß dem Ork zugemutet wurde. Crom beschwerte sich zwar nie über den Abfall, den ihm der Junge brachte, aber mit der Zeit konnte Karem seine Mimik deuten und erkannte, wie sehr sich Crom über einen Apfel oder eine gekochte Kartoffel freute.
Danach saßen sie oft bis zur Dämmerung zusammen und unterhielten sich. Karem erzählte von seinem Leben als Händlerssohn, und Crom berichtete ihm von der Gemeinschaft und den Erlebnissen seiner Orkhorde.
Muran hielt sich zumeist von der Grube fern. Er behandelte von nun an Karem mit etwas mehr Achtung, allerdings waren seine Strafen für selbst kleinste Vergehen nach wie vor unbarmherzig, und mehr als einmal hatte der Junge den Stock oder die Peitsche zu spüren bekommen.
Im Lauf der Jahre allerdings ging ihm Muran mehr und mehr aus dem Weg. Karem war das nur recht. Sie beide schienen zu ahnen, dass es früher oder später zu einer Auseinandersetzung kommen würde.
Meist bekam Karem nun seine Aufgaben von Farcellus selbst oder von seinem Sohn Luvon, der nach fünfjährigem Dienst in der Legion des Kaisers auf das Gut
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