Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Frankenstein-Projekt (German Edition)

Das Frankenstein-Projekt (German Edition)

Titel: Das Frankenstein-Projekt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert C. Marley
Vom Netzwerk:
bleiben: Zum einen hätte das möglicherweise die Aufmerksamkeit eines nächtlichen Spaziergängers oder eines Nachbarn auf sich gezogen. Zum anderen hatte Renfield größte Sorge, er könne Monsieur Rains dabei unbeabsichtigt auf die unsichtbaren Zehen treten und ihn womöglich gänzlich verärgern. Daher begnügte er sich damit, den Schlüssel wie eine kleine Trophäe in die Höhe zu halten und sich nach rechts umzuwenden, da er Rains hinter sich vermutete. Die Erkenntnis, dass es sich bei dem unsichtbaren Hindernis, das den Schlüssel auf halbem Wege stoppte, um Monsieur Rains’ Auge gehandelt haben musste, traf Renfield fast zeitgleich mit dessen Schmerzensschrei – und einer schallenden Ohrfeige.
    »Merde!«, zischte Rains. »Verfluchter Idiot! Sie bringen mich noch um. Merde! Merde! Merde! Verdammt, tut das weh!«
    »Du liebe Güte, Monsieur, pardon, das wollte ich nicht!« Renfield fuchtelte wie ein Blinder vor sich in der Luft herum.
    » Pardon! Pardon! Höre ich eigentlich auch mal was anderes von Ihnen?«
    »Ich bin wirklich untröstlich.« Den Kopf schief gelegt, blieb Renfield stehen und starrte mit zusammengekniffenen Augen in die Richtung, aus der Rains’ Stimme gekommen war.
    »Was ist? Was starren Sie mich so an?« Ein Fünkchen Hoffnung schwang in der Frage mit. »Können Sie mich etwa sehen?«
    Renfield verneinte. Dass er insgeheim Mutmaßungen darüber anstellte, was mit seinem Chef geschehen würde, wenn der einmal das Zeitliche segnete, behielt er lieber für sich. Die von ihm favorisierte Theorie besagte, dass totes Material höchstwahrscheinlich wieder sichtbar werden würde. Ein ausgestochenes Auge müsste sich also deutlich vom unsichtbaren Gesicht abheben, wenn es die Wange hinablief.
    »Kein Licht«, sagte Rains, als sie eintraten. »Scheint niemand zu Hause zu sein.«
    »Nicht mehr.«
    Rains runzelte skeptisch die unsichtbare Stirn. »Was meinen Sie?«
    »Es war jemand hier.« Renfield hatte die Nase in die Luft gestreckt und schnüffelte. Er sog die Luft zischend durch die Zähne ein und probierte sie wie einen guten Wein. »Ist noch gar nicht so lange her.«
    »Wer sagt Ihnen das?«
    »Meine empfindliche Zunge. Ich kann es schmecken.«
    »Sie werden mir immer unheimlicher.« Rains schüttelte sich. Er hatte stets angenommen, der übermäßige Genuss von Mistfliegen und Kellerasseln habe Renfields Geschmacksinn eher eingetrübt. Das war offenbar nicht der Fall.
    »Nicht doch, Monsieur«, sagte Renfield, der das irrtümlich als Kompliment aufgefasst hatte. »Die Ehre gebührt Ihnen. Was ist schon unheimlicher als jemand, der unsichtbar ist? Da gewinnen Sie jeden Wettbewerb.«
    Plötzlich hörten sie die Toilettenspülung im Stockwerk über sich.
    »Still!«, zischte Rains. »Da oben ist jemand.« Er verharrte mitten im Schritt und hob gewohnheitsmäßig den Zeigefinger an die Lippen – auch wenn das natürlich niemand sehen konnte.
    »Hier sind wir erst mal fertig«, sagte eine männliche Stimme im ersten Stock. Und dann kam auch schon jemand die Treppe herunter. »Ja, genau. War eine verdammte Sauerei. Ja, da sagst du was. Endlich Feierabend. Gott, was für ein Tag. Gehen wir noch irgendwohin?«
    Wie versteinert blieb Rains mitten im Flur stehen, während sich Renfield nach kurzer Orientierung in die Garderobe gleich neben der Haustür flüchtete und sich ganz und gar in einem langen, schwarzen Wintermantel verkroch, der zwischen all den sorgfältig auf Bügeln aufgereihten Sommerjacken wie ein prähistorisches Relikt wirkte und ihm – nebenbei bemerkt – wie angegossen passte.
    »Quatsch! Als ob du McGuffin jemals in natura gesehen hättest, Pauli.« Der Mann, der die Treppe herunterkam, war schlank, auf typisch dunkelhaarige Weise gut aussehend und hatte ein Handy am Ohr. »Da kannst du mir viel erzählen, das glaub ich dir nicht.«
    Rains hielt vor Schreck den Atem an, als der Mann zur Garderobe ging und sich eine der Sommerjacken schnappte, ohne sein Telefonat zu unterbrechen.
    »Von mir aus … Im Café Sieben in einer halben Stunde. Dann kannst du’s beweisen. Nie im Leben glaub ich das.« Er warf sich seine Jacke über, klemmte das Telefon zwischen Schulter und Ohr, während er den Reißverschluss hochzog, und sagte: »Und wenn Grimpen es nicht bestätigt, zahlst du die Zeche. Abgemacht?«
    Sekunden später fiel die Tür hinter dem Mann ins Schloss.
    Renfield kletterte aus seinem Mantelversteck heraus, leckte nervös seine Handflächen an und glättete sein Haar, ehe er

Weitere Kostenlose Bücher