Das Fremde Mädchen
sonst? Aber Ihr bleibt hier. Wenn schon etwas gesagt werden muß, dann gibt es nichts, was Ihr tun oder sagen könntet, das ich nicht auch sagen könnte.«
Die Tür der Halle stand offen, und die Gruppe stapfte gerade die Treppe in den Hof hinunter. Zwei Männer trugen Fackeln.
Cadfael, der als letzter folgte, blickte in die frostig glitzernde Nacht hinaus. Der Boden war dünn mit kleinen, nadelscharfen Flocken bedeckt, die aus dem fast klaren Himmel herabrieselten. Die blinkenden Sterne zeigten, daß es für einen schweren Schneefall zu kalt war. Er blickte zur Tür zurück und sah die Frauen unbehaglich in der hinteren Ecke zusammenstehen. Aller Augen folgten den aufbrechenden Männern. Die Mädchen drängten sich dicht aneinander, Emma zupfte mit besorgtem Gesicht nervös an ihren dicken Fingern.
Helisende hielt sich etwas abseits. Sie war die einzige, die sich nicht an ihre Leute klammerte, um Trost zu finden. Sie stand ein Stück hinter einer Fackel, und ihr Gesicht war ohne tiefe Schatten voll beleuchtet. Alles, was Emma ihrem Mann erzählt hatte, alles, was Madlyn berichtet hatte, wußte inzwischen sicherlich auch Helisende. Sie wußte, wohin Edgytha gegangen war und was sie dort wollte. Sie starrte mit großen Augen in eine Zukunft, die sie nicht mehr voraussagen konnte. Die Aufregungen dieser Nacht mochten schließlich zu Verwirrung, zu Entsetzen und vielleicht sogar einer Katastrophe führen. Sie war für ihr Opfer bereit gewesen, doch sie war völlig unvorbereitet auf das, was jetzt geschah. Ihr Gesicht schien gleichmütig und gefaßt, aber sie hatte ihre Ruhe und Sicherheit verloren. Aus Entschlossenheit war Hilflosigkeit geworden, und ihre Resignation verwandelte sich in Verzweiflung. Sie hatte ein umkämpftes Gebiet erreicht, auf dem sie sich hatte behaupten wollen, welchen Preis sie auch dafür zahlen mußte. Doch nun war dieser Grund erschüttert, die Erde teilte sich unter ihren Füßen, und sie hatte keine Gewalt mehr über ihr eigenes Schicksal. All ihr Edelmut war am Ende doch umsonst gewesen. Entwaffnet und verletzlich stand sie im Licht, und dieses letzte Bild von ihr nahm Cadfael in die Dunkelheit und den Frost mit.
Cenred zog seinen Mantel zum Schutz vor dem Wind eng um sich und schlug vom Tor des Anwesens aus einen Weg ein, den Cadfael nicht kannte. Mit Haluin war er von der fernen Hauptstraße aus gekommen und hatte sich geradewegs dem kleinen Funken der Fackel genähert. Dieser Weg aber führte in eine andere Richtung und verband sich kurz vor Elford wieder mit der Hauptstraße, so daß sie mindestens eine halbe Meile abkürzen konnten.
Es war nicht völlig dunkel. Ein wenig Licht spendeten die Sterne, und auch von der dünnen Schneedecke ging ein leichter Schimmer aus, so daß sie in einer Reihe nebeneinander, zu beiden Seiten des Weges auseinandergezogen, schnell ausschreiten konnten. Das Land war hier offen, zuerst waren überhaupt keine Bäume zu sehen, dann kam ein dünner Streifen von Waldland und Büschen. Sie hörten nichts außer ihren eigenen Schritten, ihrem Atem und dem leisen Heulen des Windes in den Büschen. Zweimal ließ Cenred sie anhalten und gebot Ruhe. Laut rief er in die Nacht hinaus, bekam aber keine Antwort.
Einer, der diesen Weg kannte, dachte Cadfael, brauchte kaum mehr als zwei Meilen bis Elford zu laufen. Edgytha hätte schon lange wieder in Vivers sein müssen, und nach allem, was sie Madlyn gesagt hatte, hatte sie tatsächlich beabsichtigt, rechtzeitig zurückzukehren, um nach dem Abendessen ihrer Herrin zur Verfügung zu stehen. Ausgeschlossen war, daß sie in einer so klaren Nacht und bei diesem kaum wahrnehmbaren Schneefall von einem ihr bekannten Weg abgekommen war.
Allmählich wurde Cadfael klar, daß sie auf ihrem Gang oder auf dem Rückweg auf irgendeine Weise aufgehalten worden war.
Nicht das Wüten der Natur oder irgendein Zufall war es gewesen, sondern eine menschliche Hand. In einer Nacht wie dieser waren die Gesetzlosen, falls es in diesem offenen Land überhaupt welche gab, sicher nicht unterwegs, um Reisenden aufzulauern, denn es gab keine Reisenden, die der Mühe wert gewesen wären. Nein, wenn jemand Edgytha von ihrem Ziel abgehalten hatte, dann war es in voller Absicht geschehen.
Natürlich gab es noch eine andere Möglichkeit. Wenn sie Roscelin wohlbehalten mit ihren Neuigkeiten erreicht hatte, mochte er sie überzeugt haben, nicht zurückzukehren, sondern in Elford zu übernachten und ihm den Rest zu überlassen.
Cadfael glaubte aber
Weitere Kostenlose Bücher