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Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Titel: Das Fremde Meer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hartwell
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ein paar Tage vorher abgehoben.«
    Ich sehe deine Mutter und dich, wie ihr in eurer Küche gesessen und auf Neuigkeiten gewartet habt. Und wann wusstet ihr, dass es keine Neuigkeiten geben würde? Oder ist dieser Moment nicht gekommen, und ihr wartet noch immer?
    Aber so kann die Geschichte nicht enden, etwas muss noch gefolgt sein. Wenn schon keine Erklärung, keine Entschuldigung, dann zumindest ein Zeichen, ein Anruf, spät in der Nacht, ein Anruf, während dem nicht gesprochen wurde, der dich aber wissen ließ, als du im dunklen Treppenhaus standest, den Hörer fest ans Ohr gepresst, dass sich am anderen Ende der Leitung der Verschwundene befand. Oder eine geheimnisvolle Postkarte, auf der weiter nichts stand als ein Buchstabe oder ein Symbol, das dem Briefträger und dem Rest der Welt rein gar nichts sagte, dir aber alles war.
    »Und du hast nie wieder etwas gehört?«, frage ich. »Hat er dir einen Brief geschrieben, hat er angerufen?«
    Du schweigst. Es gibt nichts weiter zu sagen, es gibt nichts, über das man spekulieren könnte. Statt weiterer Vorkommnisse, statt neuer Zeichen und ambivalenter Anhaltspunkte bleibt es bei einer Leerstelle, einer Abwesenheit und der Stille, die aus ihr wächst.
    Ich greife nach deiner Hand, weil ich nicht weiß, was ich weiter sagen könnte, weil ich dich trösten will, den tröstenden Worten aber nicht genug traue, um sie durch die Finsternis und zu dir zu schicken. Ich will sagen, dass ich nie verschwinden werde. Aber weil es nicht um mich geht, in dieser Nacht, und weil du es auch so weißt, bleibe ich stumm.
    *
    Fotografie, natürlich. Denn es geht um nichts anderes als ums Fixieren, ums Festhalten. Davon habe ich dir sicher schon einmal erzählt: Ende des neunzehnten Jahrhunderts, als Fotografie zunächst überhaupt möglich und dann immer populärer wurde, gab es neben den begeisterten Anhängern auch entschiedene Gegner. Es ging die Angst um, dass im Prozess des Fotografiertwerdens etwas Entscheidendes verloren gehen könne (Eine Schicht der Seele? Ein Teil deiner Selbst?). Das fotografische Abbild deines Gesichts, deines Körpers war also kein selbst-fremder Gegenstand, sondern dir zugehörig: Wie ein Haar, ein Zahn, ein Knochen war die Fotografie ein Teil von dir.
    Nicht wenige wollten sich nicht fotografieren lassen, und ich kann ihre Angst verstehen. Auch ich finde die Vorstellung unheimlich, dass jemand, besonders eine Person, die ich nicht kenne oder nicht mag, ein Bild von mir besitzt, dass sie sich das Bild anschaut, so oft, so lange und so genau, wie sie möchte, und dass ich nichts dagegen tun kann, nicht einmal zurückstarren. Und von dieser Vorstellung ist es kein allzu weiter Schritt zu dem Glauben, dass jemand, der ein Bild von mir besitzt, auch Macht über mich hat, eine nicht näher bestimmte, dafür umso furchteinflößendere Macht.
    Nachdem ich um deinen verschwundenen Vater weiß, liegt mir eine Frage auf der Zunge, und ich schiebe sie weit zurück, noch hinter den letzten Backenzahn. Besitzt du ein Bild deines Vaters? Befindet auch er sich im Haus deiner Großeltern, mit silbernen Streifen gehalten und gesichert? Ich durchforste deine Sammlung. Obwohl ich nicht weiß, wie dein Vater aussieht, glaube ich, dass ich ihn erkennen würde, entdecke aber auf keinem der Bilder jemanden, der meiner Vorstellung von ihm entspricht.
    Wochen verstreichen, bevor er mir eines Nachmittags in die Hände fällt. Aus einem Grund, an den ich mich heute nicht mehr erinnern kann, bin ich in deinem Arbeitszimmer, dem einen Raum in unserer Wohnung, in dem ich mich so gut wie nie aufhalte, weil es dort nichts gibt außer einem großen Tisch, deinen Kameras und unzähligen Büchern.
    Du bist in der Küche nebenan, damit beschäftigt, Nudeln zu kochen und einen Salat anzurichten. Ich kann das Wasser brodeln hören, aber nicht, wie du dich bewegst.
    Ich suche nicht nach dem Foto, wie sollte ich auch, es gibt keine Schränke, deren Schubladen und Fächer ich durchwühlen könnte. Alles lässt du immer offen herumliegen. Ich betrachte deine Bildbände, und einer fällt mir auf, scheint mir ungewöhnlich in seiner Gewöhnlichkeit: Bildschöne Nordseeküste . Wahrscheinlich ein Geschenk deiner Mutter. Ich ziehe ihn hervor, blättere ein wenig darin herum und will ihn wieder zurückstellen, als das Foto herausfällt. Darauf zu sehen sind ein Mann und eine Frau. Die Frau erkenne ich sofort: Es ist deine sehr junge Mutter. Sie sieht aus wie deine Mutter, und gleichzeitig sieht sie

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