Das fuenfte Imperium
ausdrücken konnten. Die Vision ist die, dass wir nicht inmitten von Dingen leben, sondern inmitten von Wahrnehmungen, wie unsere Sinnesorgane sie bereitstellen. Was wir für Sterne, Gartenzäune oder Klettenbüsche halten, sind nur Anordnungen von Nervenreizen. Wir sind fest eingesperrt in unseren Leibern, und was uns Realität scheint, ist eine Interpretation der im Hirn ankommenden elektrischen Impulse. Die Sinnesorgane liefern uns Photographien von der Außenwelt. Während wir in der Kugel hocken, deren Wände mit diesen Photos tapeziert sind. Diese Kugel ist unsere Welt, wir können ihr nicht entrinnen, so sehr uns auch danach ist. Alle Photos zusammengenommen ergeben unser Bild einer Welt, von der wir annehmen, dass sie sich draußen befindet. Drücke ich mich verständlich aus?«
Ich bejahte.
»Ein simpel beschaffener Geist ist wie ein Spiegel im Inneren dieser Kugel. Er reflektiert die Welt und richtet sich danach: Ist das Spiegelbild schwarz, dann wird es Zeit, schlafen zu gehen. Wird es hell, geht man auf Nahrungssuche. Ist es heiß, muss man beiseitekriechen, bis es kälter wird, und umgekehrt. Jegliches Tun ist von Reflexen und Instinkten gesteuert. Wir nennen das einen Geist vom Typ A. Er hat Zugang nur zur gespiegelten Welt. So weit klar?«
»Klar.«
»Und jetzt versucht euch ein Lebewesen vorzustellen, das zwei Arten von Geist hat. Außer Geist A noch einen Geist B, der mit den Photos an den Kugelwänden absolut nichts zu schaffen hat, sondern Bilder in der eigenen Phantasie erzeugt. In seinen Tiefen entsteht ... nennen wir es ein Polarlicht aus abstrakten Begriffen. Lässt sich das vorstellen?«
»Ja.«
»Und jetzt kommt das Wichtigste. Stellt euch vor, Geist B wäre ein Objekt in Geist A. Die Phantasiebilder, die er produziert, überlagern sich dort mit den Photographien der Außenwelt. Was B in seinen verschwiegenen Kammern ausbrütet, erscheint A als Teil der Außenweltprojektion.«
»Jetzt wird es schwierig«, sagte ich.
»Das kommt dir nur so vor. Ihr seid beide viele Male täglich damit konfrontiert.«
»Ein Beispiel wäre schön«, sagte Hera.
» Gut. Stell dir vor ... sagen wir ... Du stehst auf dem Neuen Arbat und siehst zwei geparkte Autos vor dem Spielkasino stehen. Oberflächlich gesehen kaum zu unterscheiden, beide lang und schwarz. Na, der eine vielleicht ein bisschen flacher und länger. Siehst du sie vor dir?«
»Ja«, sagte Hera.
»Die Unterschiede, die du in der Form der Karosse und der Scheinwerfer ausmachst, im Klang des Motors und im Profil der Reifen - die arbeitet dir Geist A zu. Siehst du aber zwei Mercedesse stehen, von denen der eine glamourös ist, weil ein teures Modell vom Vorjahr, und der andere der hinterletzte Schrott, weil in so einem schon olle Beresowski zu
General Lebed in die Sauna gefahren ist, und heute kriegst du so einen für zehntausend Bucks - dann arbeitet Geist B. Das ist das Polarlicht, das er hervorbringt. Es bildet sich aber für dich auf zwei nebeneinanderstehenden schwarzen Autos ab, und du denkst, was Geist B suggeriert, wäre ein Abbild von etwas, das draußen wirklich existiert.«
»Das haben Sie gut erklärt«, sagte ich. »Aber existiert es denn draußen, wie Sie sagen, nicht tatsächlich?«
»Nein. Das lässt sich leicht beweisen. Alle Unterschiede, die Geist A bemerkt, kann man physikalisch messen. Und es wäre in einhundert Jahren noch genauso gut möglich. Während die Unterschiede, die Geist B der Welt zuschreibt, keiner objektiven Bewertung oder Messung unterliegen. Und in hundert Jahren würde keiner mehr verstehen, worin sie einmal bestanden.«
»Aber wie kommt es dann, dass ganz verschiedenen Leuten beim Anblick dieser Wagen ein und dasselbe durch den Kopf geht? Ich meine, dass sie den einen für Glamour halten und den anderen für Abkrach?«, fragte Hera.
»Weil Geist B bei allen diesen Leuten auf dieselbe Wellenlänge justiert ist. Er nötigt sie zu den gleichen Halluzinationen.«
»Und wer ist für den Inhalt dieser Halluzinationen verantwortlich?«, fragte ich.
»Geist B. Beziehungsweise eine Vielzahl solcher Geister, die sich gegenseitig stützen. Das unterscheidet die Menschen von den Tieren. Den Geist A haben auch die Affen. Den Geist B hat nur der Mensch. Das ist das Ergebnis der Selektion, die die Vampire im Altertum betrieben haben.«
»Wozu braucht aber nun das Melktier diesen Geist B?«
»Ist das noch nicht klar?«
»Nein.«
Enlil Maratowitsch wandte den Blick zu Hera.
»Mir auch nicht«, sagte sie.
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