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Das fünfte Paar

Das fünfte Paar

Titel: Das fünfte Paar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Gebäude wie ein weißes Traumschiff aus einem grauen Meer von schäbigen Schnapsläden, Waschsalons, zwielichtigen Kneipen und baufälligen Reihenhäusern, deren Fensterscheiben teilweise durch Pappe ersetzt worden waren.
    Ich stellte meinen Wagen in die Tiefgarage des Hotels, überquerte die Florida Avenue und stieg die Stufen zu einem schmutzigbraunen Kasten mit einer ausgebleichten blauen Markise über dem Eingang hinauf. Oben angekommen drückte ich auf die Klingel von Apartment achtundzwanzig.
    »Wer ist da?«
    Die Stimme kam so verzerr durch die Sprechanlage, daß ich sie kaum erkannte. Nachdem ich meinen Namen gesagt hatte, hörte ich einen erstickten Laut, der ebensogut ein Schluchzen wie ein Luftschnappen sein konnte. Dann summte der Türöffner. Ich trat in eine düstere Halle mit einem verdreckten braunen Teppich auf dem Boden und einer Reihe glanzloser Messingbriefkästen an einer mit Holzfaserplatten verkleideten Wand.
    Abby hatte den Verdacht geäußert, daß ihre Post überprüft werde, aber in dieses Haus kam man ohne Schlüssel nicht rein, und auch die Briefkästen waren verschließbar. Was sie mir bei ihrem Besuch in Richmond erzählt hatte, erschien mir nun noch unwahrscheinlicher. Andererseits - wenn tatsächlich das FBI dahintersteckte... Unsinn! rief ich mich zur Ordnung. Das Schild »Außer Betrieb« an der Aufzugtür zwang mich zu einer »körperlichen Betätigung«, die meine Therapeutin begeistert hätte. Als ich im fünften Stock ankam, war ich atemlos - und wütend.
    Abby stand in ihrer Wohnungstür. »Was machst du hier?« flüsterte sie. Ihr Gesicht war aschfahl.
    »Da ich bei dir geklingelt habe, kannst du davon ausgehen, daß ich dich besuchen will«, erwiderte ich sarkastisch.
    »Du bist doch nicht extra deswegen nach Washington gekommen.«
    »Ich hatte dienstlich hier zu tun.«
    Durch die offene Tür sah ich weiße Möbel, pastellfarbene Sofakissen und abstrakte Gregg-Carbo-Drucke - alles Dinge, die ich aus ihrem Haus in Richmond kannte. Und plötzlich hatte ich wieder die Bilder jenes schrecklichen Tages vor Augen - die bereits in Verwesung übergegangene Leiche ihrer Schwester auf dem Bett im ersten Stock, Polizeibeamte und Leute von der Spurensicherung, die mit routinierter Gelassenheit ihre Arbeit taten, während Abby auf dem Sofa saß und dermaßen zitterte, daß sie kaum ihre Zigarette halten konnte. Ich kannte sie damals nur vom Hörensagen - und demnach war sie mir ganz und gar nicht sympathisch gewesen. Als ihre Schwester ermordet wurde, hatte sie mein Mitgefühl gewonnen - und später auch mein Vertrauen.
    »Ich weiß, du wirst mir nicht glauben«, sagte Abby so leise, daß ich sie kaum verstand. »Aber ich wollte nächste Woche zu dir kommen.«
    »Ach, tatsächlich?«
    »Bestimmt!«
    Wir standen immer noch auf dem Korridor. »Willst du mich nicht reinbitten, Abby?« Sie schüttelte den Kopf.
    Was war hier los? »Bist du nicht allein?«
    »Laß uns ein Stück gehen«, wisperte sie.
    »Abby - was um Himmels willen ist denn...«
    Sie starrte mich beschwörend an und legte einen Finger an die Lippen.
    Aus ihrem Benehmen konnte man eigentlich nur schließen, daß sie auf dem besten Weg war, den Verstand zu verlieren. Ich wartete auf dem Flur, bis sie mit ihrem Mantel wieder herauskam. Fast eine halbe Stunde lang gingen wir mit schnellen Schritten und schweigend auf der Connecticut Avenue nebeneinander her. Dann zog sie mich ins Mayflower Hotel und wählte den Tisch in der hintersten Ecke der Bar. Ich bestellte mir einen Espresso, lehnte mich in dem Ledersessel zurück und sah Abby über die polierte Tischplatte hinweg forschend an.
    »Du wirst mich sicher für total überdreht halten«, begann sie. Ihre Blicke huschten nervös durch den Raum. Zu dieser frühen Nachmittagsstunde war die Bar noch fast leer.
    »Abby! Was ist los mit dir?«
    Ihre Unterlippe zitterte. »Es ist so, wie ich dir damals in Richmond gesagt habe - nur viel schlimmer.«
    »Du brauchst Hilfe«, sagte ich besorgt.
    »Ich bin nicht verrückt!«
    »Aber du wirst es bald sein«, antwortete ich.
    Sie atmete tief durch und schaute mich verzweifelt an. »Kay - man beschattet mich. Definitiv! Ich bin sicher, daß mein Telefon abgehört wird - und ich vermute, daß Wanzen in meiner Wohnung versteckt sind. Deshalb habe ich dich nicht reingelassen. Dir erscheint das alles bestimmt als die Ausgeburt einer kranken Phantasie - und das kann ich sogar verstehen -, aber ich weiß, was ich weiß. Von Einbildung kann keine

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