Das gefrorene Lachen
obere Galerie. Pippa hätte lieber den Küchengang benutzt, obwohl der einen Umweg über den Seitenflügel bedeutet hätte, denn die obere Galerie war den Herrschaften vorbehalten. »Ich bin ja bei dir, dann gilt das nicht«, beruhigte Augustin sie.
Pippas Zimmer war klein und voll. Augustin stand ein wenig verloren auf der freien Stelle zwischen Bett und Truhe und verschränkte die Arme, um weniger Platz wegzunehmen. »Ich sollte draußen warten«, fiel ihm ein, als Pippa ihre Kutte über den Kopf zog und auf den einzigen vorhandenen Stuhl warf.
»Steh nicht nur so rum, erzähl mir von dem Wandertheater.« Pippa griff nach einem Handtuch und rubbelte ihre Haare trocken und halbwegs sauber. Unter ihrer Kutte trug sie ein geflicktes Hemd und eine knielange, verwaschene und viel zu weite, erdbeerrote Männerhose.Augustin musterte den Aufzug amüsiert. »Wo hast du denn die lustige Hose her?«, fragte er.
Pippa wurde jetzt erst bewusst, dass sie vor dem Kronprinzen so gut wie in Unterwäsche dastand. Nein, Unterwäsche wäre sogar besser gewesen als dieser Räuberaufzug. Sie errötete. »Guck woanders hin«, befahl sie. »Und erzähl schon!« Sie öffnete die Truhe und wühlte darin herum, bis sie ihre zweite Kutte fand und herauszog.
»Musst du dieses seltsame Gewand eigentlich immer tragen?«, fragte der Prinz. »Ich habe dich noch nie in einem Kleid oder so was gesehen.«
»Du kannst dich bloß nicht daran erinnern.« Pippa zog die Kutte über den Kopf und strich sie glatt. »Bevor ich meine Ausbildung begonnen habe, habe ich immer Kleider getragen. Ich bin schließlich kein Junge.«
»Na, so was«, murmelte Augustin uninteressiert. Pippa verdrehte die Augen.
»Los, ehe wir alles verpassen«, sagte sie energisch und schob ihn zur Tür. Im Laufen knotete sie ihren Gürtel und zog die gespreizten Finger durch die Haare. »Von wo aus können wir zusehen?«
»Ich dachte ans Servierzimmer. Durch die Luken müssten wir einen guten Blick auf alles haben.«
Die Tür zum Servierzimmer des Empfangssaals war nur angelehnt. Augustin zwinkerte Pippa stolz zu und öffnete die Tür gerade so weit, dass sie beide hineinschleichen konnten.
»Die linke Luke habe ich vorhin schon geöffnet«, hauchte Augustin in Pippas Ohr. Sie nickte und kniete sich neben ihn auf den Fußschemel, der vor der Lukestand. Die kleine Öffnung diente sonst dem Kammerherrn oder der Wirtschafterin als Ausguck. Von hier aus konnten der Fortgang einer Gesellschaft im Auge behalten und die Dienerschaft kontrolliert werden, deshalb war die Luke so angebracht, dass der ganze Raum zu überschauen war. Augustin legte seinen Arm um Pippas Schulter. Ihr stockte der Atem. Sie schloss selig die Augen und genoss das Gefühl, dass der Prinz sie in seinen Armen hielt. Eilig träumte sie eine Sequenz aus ihrem Lieblingstagtraum: Augustin in seiner Galauniform, in der er besonders schneidig aussah, und sie in einem atemberaubenden Ballkleid, dessen Dekolleté deutlich mehr Oberweite zeigte, als Pippa zurzeit vorweisen konnte – aber so eine kleine Korrektur der schnöden Wirklichkeit war in einem Traum ja wohl erlaubt. Sie beide drehten sich zu Walzerklängen unter dem großen Kronleuchter im Festsaal, und rundherum standen prachtvoll gekleidete Damen und Herren und applaudierten …
»Kannst du etwas sehen?«, wisperte der Prinz und riss sie damit aus ihren Gedanken. Pippa seufzte, aber nur ein wenig, weil ja immer noch sein Arm um ihre Schulter und seine Wange an der ihren lag.
Ihr Blick wanderte durch den leeren Saal, in dessen glänzend poliertem Parkett sich die Kronleuchter spiegelten – die allerdings allesamt in weiße Tücher gehüllt waren, damit sie nicht einstaubten. Durch die deckenhohen, bodentiefen Fenster konnte man den königlichen Park sehen, auf dessen Rasenfläche Tauben nach Sämereien pickten, und einen der Wasserspeier vom Nordturm, der hinter einem Busch auf der Lauer lag. Die armenTauben. Pippa notierte sich im Geiste, dass ihr Vater den Versteinerungszauber der Nordturm-Wasserspeier dringend erneuern musste, dann achtete sie wieder auf das, was im Saal vor sich ging.
Zwei hochlehnige Sessel waren dort auf der Tanzfläche aufgestellt worden, in denen das Königspaar Platz genommen hatte. Augustins Vater trug seine Robe für Unbedeutende Anlässe – ein schlichtes Gewand aus Seidensamt in Dunkelgrün und Weiß, das mit Silbertressen und kleinen Diamanten besetzt war, dazu einen schmalen Kronreif und einen Umhang mit Nerzbesatz. Die
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