Das gefrorene Lachen
hätte) und schlüpfte in ihre Pantinen, die wartend vor dem Bett standen.
Dann schob sie die Tür auf und ging durch die leere Küche in den Wohnwagen.
Die Seidenpapier-Gedichte an der Wand bewegten sich leise raschelnd wie zarte Blütenblätter, als Pippa an ihnen vorbei zum Sofa ging. Dort lag nur eine zerknüllte Decke, achtlos abgestreift wie die zu eng gewordene Haut einer Schlange. Der Wohnwagen war leer, August und der Koch waren fort.
Pippa ging zurück zum Herd, nahm sich eine Tasse von der dort warm gehaltenen Kanne Jasmintee und trank sie im Stehen aus, während sie darüber nachdachte, was sie nun als Erstes tun sollte.
Sie spülte die Tasse, hängte sie wieder an den Haken und ging hinaus. Ein Blick zum Himmel bestätigte, was der Betrieb auf dem Platz ihr schon mitgeteilt hatte: Es war später Vormittag. Sie hatte furchtbar verschlafen.
Pippa nahm die drei Stufen zum Garderobenwagen in zwei Sätzen und riss die Tür auf. »Mama Josefina?«, rief sie in den dunklen, stillen Wagen hinein.
Hinten zwischen den Kostümen rumpelte etwas, dann kam Janne nach vorne. »Josefina ist bei der Probe«, sagte sie. »Kann ich dir …?«, aber Pippa war schon mit einem Winken wieder hinausgerannt.
Sie betrat das Theater durch den Bühneneingang und ging zur Hinterbühne. Auf der Bühne deklamierten die Schauspieler mit getragener Stimme ihren Text. Man konnte immer schon am Klang der Stimmen erkennen, ob ein lustiges oder ein trauriges Stück probiert wurde. Heute war es ganz sicher eine Tragödie, mit Königen und Mördern und wahnsinnigen Prinzessinnen, die sichaus Kummer in irgendwelchen Teichen ertränkten. Pippa mochte die Stücke lieber, in denen es um Liebe ging und in denen lustige Personen auftraten.
Die Garderobiere saß im Zuschauerraum und musterte mit strengem Blick die Kostüme. Ab und zu flüsterte sie Marie-Belle, die mit einem Stift in der Hand neben ihr stand, etwas zu. Wahrscheinlich war heute die erste Kostümprobe, und Mama Josefina notierte sich alles, was noch geändert werden musste.
Pippa rutschte schräg hinter die beiden auf die Bank und folgte ein paar Minuten dem Geschehen auf der Bühne. Es ging um einen Mann namens Maurizio, der seine Frau verdächtigte, einen anderen Mann zu lieben. Die Frau war hübsch, jung und blond und der Mann war finster und dunkel und viel älter als sie. Er redete die ganze Zeit von einem Taschentuch, und Pippa begann sich zu langweilen. Da die beiden Frauen vor ihr auch schon eine ganze Weile nicht mehr miteinander tuschelten, beugte sie sich vor und flüsterte: »Mama Fina?«
Die Garderobiere wandte ihr den Kopf zu. »Pippa«, sagte sie überrascht. »Was machst du denn hier, Kind?«
»Kann ich mit dir reden?«
Josefina nickte und flüsterte Marie-Belle ein paar Anweisungen ins Ohr. Dann stand sie auf und winkte Pippa, ihr zu folgen.
»Ah, die schöne Sonne«, sagte sie und hielt das Gesicht ins Licht. »Ich bin schon seit Stunden da drinnen im Dunkeln.« Sie lächelte Pippa an. »Eine Pause kommt mir gerade recht. Holen wir uns ein Brot und etwas Tee.«
Zarter Blütenzauber werkelte mit bespritzter Schürzeund hüpfendem Zopf in dem offenen Unterstand an der Rückseite des Theaters, in dem sich die Bühnenarbeiter und Schauspieler vor und zwischen den Vorstellungen jederzeit etwas zu essen oder zu trinken holen konnten. Er blickte kaum auf, als Josefina ihn um Tee und belegte Brote für sich und Pippa bat. Sein rundes Gesicht zeigte einen Ausdruck, den Pippa an dem gleichmütigen Koch noch nie beobachtet hatte und den sie bei jedem anderen Menschen als Zorn bezeichnet hätte. Aber natürlich konnte das nicht sein. Zarter Blütenzauber war nie wütend oder schlecht gelaunt.
Sie rief leise seinen Namen und der Koch blickte auf und schaute sie an. Einen ganz kurzen Augenblick lang war der Zorn in seinen Augen so deutlich, dass Pippa erschrak, dann verschwand er und machte dem freundlichen, etwas geistesabwesenden Gesichtsausdruck Platz, den sie an ihm kannte. Er nickte ihr zu und schenkte aus einer bekleckerten Kanne einen Becher Schokolade ein.
»Setzen wir uns dort hinten hin.« Die Garderobiere zeigte auf eine Bank am Ende des Unterstands. Der Tisch war voller Geschirr und Krümel, aber außer ihnen saß niemand dort.
»Mama, ich mache mir Sorgen um August«, kam Pippa ohne große Umschweife gleich zum Thema.
Über Josefinas Gesicht zog ein Schatten. »Ja?«, erwiderte sie kurz und nichtssagend.
Pippa schob den Teller mit Butterbroten
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