Das gefrorene Lachen
inne und sah sie geradezu entsetzt an. »Wie redest du denn mit Seiner Königlichen Hoheit?«
Pippa wollte etwas entgegnen, aber es war, als presste ihr eine riesige Faust den Atem aus dem Körper. Die Stimme des Lehrers dröhnte wie eine Glocke und sie hörte ein verzerrtes Echo hallen: »... du denn mit seiner Königlichen Hoheit?« Es war eine andere Stimme, die das sagte, eine vertraute Stimme. Die Stimme ihres Vaters. Pippa japste und tastete nach einem Halt.
Eine Hand griff nach ihrem Ellbogen und hielt sie aufrecht. »Ist dir schlecht, Pippa?«, hörte sie Augusts besorgte Frage.
»Ein Glas Wasser«, rief der Lehrer. »Setz sie dorthin, ja. Ich hole ein Glas Wasser.« Die Tür klappte.
Pippa wartete darauf, dass sich das Zimmer vor ihr zu drehen aufhörte. Ihr war übel. Die Stimme in ihrem Kopf dröhnte weiter: »Sei nicht frech, Philippa Saffronia. Räum bitte die Werkstatt auf. Hast du heute auch schön geübt? Was sagt dein Lehrer, ist er zufrieden mit dir? Philippa Saffronia, ich hatte dich doch gebeten, mich nicht zu stören, wenn ich nachdenke. Lachsschnittchen – ich liebe Lachsschnittchen. Hast du die Taube abgeschickt?«
Sie presste die Hände über die Ohren. »Taube abgeschickt«, echote es in der Ferne. »Lachsschnittchen …« Die Stimme erstarb zu einem Wispern. Pippa stöhnte und schlug die Augen auf, die sie fest zusammengekniffen hatte.
August beugte sich mit besorgter Miene über sie. »Was ist los?«, fragte er leise.
Es schüttelte sie am ganzen Leib, ihre Zähne schlugen aufeinander. »Ich weiß es nicht«, stammelte sie. »Ich habe die Stimme meines Vaters gehört, wie eine Erinnerung,aber er hat lauter Sachen gesagt, die er nie zu mir gesagt hat.«
»Du bist ohnmächtig geworden. Vielleicht kommt es daher. Wenn man im Schlaf etwas träumt, ist es ja auch nicht so wie in der Wirklichkeit.«
Das klang vernünftig, aber Pippa wusste, dass die Erklärung nicht stimmte.
Die Tür öffnete sich und der Lehrer kam mit einem großen Glas Wasser in der Hand herein. Seine Frau folgte ihm auf dem Fuß, sie trug eine Schüssel, in der ein Tuch in Wasser schwamm.
»Ah, du bist wieder bei dir«, sagte der alte Mann erleichtert. »Ich habe meine Frau gebeten, dir einen kalten Umschlag zu machen.«
»Nein danke«, sagte Pippa und fröstelte. Es war nicht sehr warm im Zimmer, und der Gedanke an einen kalten Umschlag verursachte ihr eine Gänsehaut. »Ich glaube, wir müssen jetzt gehen. Ich bin einfach nur erschöpft, es war ein langer Tag.«
Sie akzeptierte dankend das Glas Wasser, das der Lehrer ihr reichte, und gab es an August weiter, als sie davon getrunken hatte. Es war stickig in der Stube, die vollgestopft war mit schweren Möbeln, Nippsachen aus Porzellan, alten Büchern, Kissen und Vorhängen, Bildern in Goldrahmen, die so dunkel waren, dass man nichts darauf erkannte, Topfpflanzen, Teppichen, Spitzendeckchen und einem großen Sofa … Pippa hatte Mühe mit dem Atmen.
»Meinst du denn, dass du gehen kannst?«, fragte die Frau des Lehrers besorgt. »Du könntest hier übernachten,Philippa. Oben ist immer noch das Zimmer unseres Jungen, das könnte ich dir schnell herrichten.« Wieder flog ihr Blick zu Augustin. Sie runzelte die Stirn.
»Nein, nein, danke«, beeilte sich Pippa, das freundliche Angebot abzulehnen. »Wir müssen zurück. Unsere Eltern machen sich sonst Sorgen.«
Die Lehrersfrau riss die Augen auf. »Aber natürlich«, sagte sie. »Das geht nicht. Dein lieber Vater, er war immer schon so besorgt um dich, seit deine liebe Mutter gestorben ist!« Pippa verschlug es die Sprache. Sie sah hilflos zu August hin, der die Schultern zuckte. »Wir sollten jetzt wirklich gehen«, sagte er.
»Ich begleite euch ein Stück«, erklärte der Lehrer entschlossen.
»Ludwig«, wandte seine Frau leise ein. »Du bist nicht mehr so jung wie die beiden. Sie können vor den Gendarmen weglaufen, das schaffst du nicht mehr.«
»Nein, bitte, ich möchte das nicht«, sagte Pippa laut. »Es war sehr freundlich von Ihnen, uns hierher mitzunehmen. Ich möchte nicht, dass Sie sich für uns in Gefahr bringen. Wir finden schon alleine zurück. Nicht, August?«
Die Lehrersfrau wiederholte stumm seinen Namen: August. Pippa sah, wie ihr Gesichtsausdruck sich von Erkennen, Unglauben und Staunen zu einer seltsamen Mischung aus Entsetzen und Freude wandelte. Sie riss die Augen auf, rief: »Prinz Augustin – Eure Königliche Hoheit! Vergebt mir, ich habe Euch nicht gleich erkannt!«, und sank in einen
Weitere Kostenlose Bücher