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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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Baobab-Grube und traten ohne einen Blick zurück die Reise zu Ambovombes Dorf an.
    La Bouche marschierte hoch erhobenen Hauptes vorneweg. Er wollte sich nicht noch mehr Vorhaltungen anhören müssen. Matthieu war erschöpft, ließ es sich aber nicht anmerken. Während er voranstapfte, dachte er immer wieder an die Priesterin, die am Ende des Weges für ihn singen würde, eingehüllt in eine Wolke aus Lemuren. Dies waren Affen mit großen Augen und Ohren, die sich auf zwei Beinen fortbewegten und ihren langen gestreiften Schwanz in Form eines Fragezeichens einrollten, das wie ein Symbol des ungewissen Schicksals dieser seltsamen Delegation wirkte.
    Am Vormittag des dritten Tages blieb Pierre auf einer Anhöhe stehen.
    »Dort hast du dein Inferno«, sagte er zum Kapitän.
    Matthieu kniff die Augen zusammen, um im grellen Sonnenlicht etwas erkennen zu können, und fragte sich, ob er sich nicht eigentlich darüber freuen sollte, endlich am Ziel zu sein.
    Es handelte sich zweifellos um eine Höllenblase mitten im Paradies, um verseuchte Erde. Wie ihnen Pierre bereits erzählt hatte, drängten sich die Hütten von Ambovombes Klan auf einem gerodeten Areal inmitten eines undurchdringlichen Meeres aus Kakteen, die den Grund eines Tales bewuchsen. Dorthin gelangen konnte man nur über einen schmalen Pfad inmitten der Nadeln. Abgesehen von diesem kaum zu überbietenden natürlichen Schutzwall wurde Ambovombes Reich aus Staub, Qualm und angehäuften Waffen von den Horden der Anosy-Krieger bewacht, die aus anderen Dörfern herbeiströmten, um sich dem Schutz des immer mächtiger werdenden neuen Königs zu unterstellen. Sie hatten auf den Hängen rundherum ihre Hütten errichtet.
    Das Dorf im Talkessel berücksichtigte die strikten astrologischen Regeln, die das Leben der Anosy bestimmten. Die größten Hütten, die Ambovombe und seinen Frauen gehörten, waren am nordöstlichen Rand der Siedlung erbaut worden, welcher in ihren Zeremonien als Ort der Verbindung mit den Vorfahren galt. Von diesem Punkt ausgehend folgten die Behausungen der restlichen Dorfbewohner. Die Größe ihrer Hütte hing von ihrer Stellung in der Hierarchie ab, die durch Abstammung und Alter jedes Klanmitglieds bestimmt wurde. Am südwestlichen Rand des Weilers drängten sich die Pferche der Sklaven und des Viehs. Für die Anosy war das irdische Dasein ein Abbild ihres Jenseits, und da dieses auf vier Eckpunkte ausgerichtet war, die vier Kräfte oder Werte darstellten, musste auch jedes menschliche Bauwerk diese vier Pole berücksichtigen. Die Ordnung der Himmelsrichtungen ins Ungleichgewicht zu bringen konnte nur Tod und Unheil bedeuten.
    Einige Sekunden lang hörte man kein Geräusch außer dem niemals nachlassenden Säuseln des Windes und dem schicksalhaften Gruß, den ein Rabe ihnen von einem Pfahl her entgegenkrächzte.
    »Lasst uns endlich hinuntergehen«, drängte La Bouche.
    Ohne ein einziges Wort begannen die drei Männer den Abstieg. Sie betraten die Siedlung am Rande des Dornentals. Die Lagerfeuer vor den Hütten verstärkten die unerträgliche Hitze nur noch und erfüllten alles mit dumpfem Rauch. Matthieu konnte nicht anders, er musste immer wieder schlucken. Mit vorgerecktem Kinn schritt er aus und betrachtete aus den Augenwinkeln die ungläubigen Mienen der Krieger. Die rote Haut der Anosy schien mit der Erde zu verschmelzen. Abgesehen davon ähnelten sie in nichts den schwächlichen Geistererscheinungen, in die sich die Überlebenden aus dem Klan des alten Königs verwandelt hatten. Diese Menschen wirkten tatsächlich wie kriegerische Bestien, kräftig und muskulös. Viele der Kämpfer waren von Narben gezeichnet, und einige trugen auch Verletzungen aus jüngerer Vergangenheit zur Schau, wie man an den Schwellungen und dem Eiter erkennen konnte, der auf ihrer Haut trocknete. Ihre Körper waren mit Bändern und Fellstreifen grotesk geschmückt, und sie hatten das Haar nach hinten geflochten, so dass nichts den Blick von ihren teuflischen Fratzen ablenkte. Die Frauen hatten ihren Schopf mit Lehm in Form gebracht und das Gesicht mit einer Maske aus einem weißen Staub bedeckt, den sie aus einer Baumrinde gewannen. Sie trugen Amulette, einige davon mit Quarzen und Perlen, die von früheren Angriffen auf arabische Seeleute stammten, andere mit unförmigen kleinen Tieren, die sie bei Geisterbeschwörungen benutzten.
    »Warum hält uns niemand auf?«, fragte La Bouche.
    »Weil sie keine Angst vor uns haben. Dein Plan scheint aufzugehen.«
    Es war so,

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