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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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das er sich für sie beide ausmalte. Wie konnte er ihr dies abschlagen, wenn sie ihm dadurch vielleicht für immer verbunden wäre? Er begann, an den Wirbeln zu drehen, und straffte die Saiten, von der hellsten bis zur tiefsten. Jetzt war das Instrument perfekt gestimmt. Er legte es sich auf die Schulter und lehnte das Kinn an. Dann überprüfte er die Position – weder schräg noch verdreht – und benutzte als Bezugspunkt dafür die Linien, mit der die E- und G-Saite links und rechts die Kanten der Schnecke verlängerten. Er entschied sich für ein Stück aus L’Orfeo , der Oper von Maestro Monteverdi. Sie erzählte von Orfeos freiwilligem Abstieg in die Unterwelt, wo er seine geliebte Euridice zu retten versuchte, die durch einen Schlangenbiss von seiner Seite gerissen wurde. Das war seine Art, Luna zu sagen, dass auch er für sie dem ewigen Feuer trotzen würde, wenn es sein musste. Immerhin war er ja bereits bis ans Ende der Welt gereist, um sie zu finden. Er lauschte ihrem Herzschlag und dann dem seinen, bis sie im Einklang waren, und begann schließlich, in diesem Takt zu spielen. Die Schönheit entstand ganz von allein.
    Luna hatte das Gefühl, die Stimmen der Erd-, Wasser- und Feuergötter zugleich zu vernehmen. Dieser Mann konnte sie jedoch nach Gutdünken so lange heraufbeschwören, wie er nur wollte, indem er mit seinem Bogen über die Saiten aus Darm strich. Matthieu hielt die letzte Note. Als sie verstummte, öffnete sich in seinem Leben eine Tür, durch die Luna eintreten konnte.
    »So lieben Opernfiguren«, flüsterte er ihr ins Ohr, bevor er sie küsste.
    Luna roch nach dem Holz des Baobabs und einer offenen Frucht. Was war bloß dieses noch nie verspürte Erzittern, das ihn überkam, wenn er ihre erschaudernde Haut berührte? Waren es ihre katzenhaften Bewegungen, als sie sich auf ihn warf, ihn mit den Knien umfing, sich erst zusammenkauerte und dann aufbäumte, sich schließlich streckte, um ihren Mund auf den seinen zu pressen? Ihr Körper stand in Flammen, und sie hatte die Augen weit aufgerissen. In ihr toste ein ganzer Ozean, Salz und Gezeiten rissen den Musiker hinab in die Tiefe der Algen, die sich zwischen ihren Schenkeln verbargen und ihn nicht mehr losließen. Schließlich packte sie ihn bei den Handgelenken, damit er sie nicht mehr berührte, während sie beide wieder an die Oberfläche kamen.
    Später betrachtete Matthieu, wie sie auf dem Raphia-Fußboden dalag. Sie schlief auf der Seite und atmete geräuschvoll. Ihn erregten ihre festen Schenkel, viel muskulöser als die französischer Frauen, und gleichzeitig rührte es ihn, sie mit einem Mal so unschuldig zu sehen, als wüsste sie gar nicht, über welche Macht sie verfügte.
    Sie war sich weder dieser Macht noch der Gefahr, in der sie schwebte, bewusst.
    Wie konnte er den Lauf der Dinge bloß ändern? Wie konnte er La Bouche aufhalten? Jede Minute, die verstrich, brachte Luna einem ihr von anderen auferlegten Schicksal näher und damit auch ihn seinem eigenen Ende, dem gemeinsamen Los eines vereinten Geistes. Er musste rasch handeln. Ob der Rat der Kapitäne wohl schon zusammengetreten war?
    »Ich muss Misson alles erzählen«, sagte er plötzlich laut.
    Luna regte sich kurz, ihr Atem wurde aber sofort wieder regelmäßig.
    Den Piraten zu seinem Verbündeten machen … Warum war ihm das nicht früher in den Sinn gekommen? Immerhin hatte La Bouche sie beide angelogen. Sie würden ihn aus dem Weg schaffen, dann die Hymne komponieren, und Misson selbst würde ihn schließlich zum Dank mit der Priesterin nach Fort Dauphin zurückbringen.
    Er streckte die Hand aus, um Luna zu berühren, tat es dann aber doch nicht, um sie nicht zu wecken. Er deckte sie mit ihrem Hemd zu, schlich auf Zehenspitzen hinaus und rannte in Richtung Versammlungsort los, sobald er das Haus verlassen hatte.

20
    I m Hafen wimmelte es nur so von Seeleuten. Matthieu hielt auf den Südturm zu, ein Bauwerk aus schwarzem Stein, das sich in einer Ecke des Hafens erhob. Eine Fahne flatterte im Wind, und vor dem Turm stand ein unbemanntes Wachhäuschen. Das hölzerne Tor war bemalt und zeigte zu Ehren der Expeditionen, die die Nordroute nach Madagaskar erschlossen hatten, ein wellenumtostes maurisches Schiff. Wie alle Türen in Libertalia war auch diese unverschlossen. Vorsichtig trat Matthieu ein. Er stieg langsam die Wendeltreppe hinauf, die zum Versammlungssaal führte. Licht fiel nur durch die schmalen Schießscharten ins Innere. Als er oben ankam, vernahm er bereits

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