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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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verwandeln.«
    »Glaubt er wirklich, dass ein Lied seine Probleme lösen kann?«
    »Fünfundzwanzig Jahre lang hat er Schwierigkeiten mit ein paar Worten gemeistert. Und du kennst doch die Wirkung dieser Musik.«
    Pierre blickte besorgt drein.
    »Hast du sie wirklich noch nicht gesehen?«
    »Doch.«
    »Und warum hast du dann vorhin behauptet …«
    »Ich wollte vor La Bouche nicht darüber reden.« Pierre verzog die Miene auf eine Art und Weise, die Matthieu nicht zu deuten vermochte. »Was hast du?«
    »Du weißt doch, dass er sie bei der erstbesten Gelegenheit töten wird, nicht wahr?«
    Sie schauten sich an.
    »Nicht solange ich es verhindern kann.«
    Der Arzt seufzte geräuschvoll.
    »Vergiss lieber nicht, warum du hier bist.«
    »Was soll das jetzt heißen?«
    »Viele Jahre meines Lebens habe ich auf See verbracht. Ich habe vom Wundbrand befallene Arme und Beine amputiert und mit ansehen müssen, wie ein Seemann über Bord ging und sich in den Wellen eines Unwetters verlor, weil das Schiff seine Fahrt fortsetzen musste, um den Rest der Besatzung nicht zu gefährden … Ich bitte dich nur, verschiedene Möglichkeiten abzuwägen und dir darüber klar zu werden, was du im Notfall zu tun bereit bist. Vielleicht solltest du weniger an diese Frau denken und dir stattdessen die Gesichter der Menschen vor Augen rufen, die in Frankreich auf dich warten.«
    »Ich kann Luna nicht einfach aus mir herausschneiden. Ich kann kaum fassen, dass du mir wirklich so etwas rätst …«
    »Ich will doch nur dein Bestes!«
    »Mein Bestes?«
    »Sprich leise! Ich hoffe nur, dass La Bouche dich nicht auch ins Jenseits befördert, wenn das alles ein schlimmes Ende nimmt.«
    »Aber es hat doch schon längst ein schlimmes Ende genommen! Hast du etwa vergessen, was Ambovombe Lunas Schwestern angetan hat?«
    »Wenn die Priesterin nicht die Flucht ergriffen hätte, wäre das alles nicht geschehen.«
    »Man kann doch niemandem vorwerfen, dass er sich nach Freiheit sehnt!«
    »Verdammt noch mal, schlag dir diese Eingeborene aus dem Kopf und rette lieber die Deinen!«, fuhr der Arzt Matthieu an. »Dann hat wenigstens jemand etwas von alledem!«
    In diesem Moment vernahm Matthieu ein Geräusch aus dem Inneren des Gebäudes. Als er sich umwandte, entdeckte er dort einen Schatten. La Bouche war unauffällig an eines der Fenster getreten und nickte ihm jetzt zu. Pierre entdeckte den Kapitän und grüßte ebenfalls mit einer Kopfbewegung. Die beiden Männer brachen ihre geheime Unterredung ab und gingen hinein. Sie schlossen zwar die Tür hinter sich, das Säuseln der Wellen drang jedoch durch jede Ritze wie überall auf Libertalia und erfüllte Schlaf und wache Stunden mit einer ungewohnten Rastlosigkeit.

19
    M atthieu lag die ganze Nacht wach. Er musste Luna unbedingt wiedersehen. Beim Schein der ersten Sonnenstrahlen machte er sich eilig auf den Weg zu Misson. Die Tür des Hauses stand offen. Der Geiger sah in alle Räume, aber es war niemand da.
    »Wo steckst du nur …?«, sagte er leise vor sich hin.
    Um ein wenig zur Ruhe zu kommen, begann er, seine Geige zu reinigen. Dies lenkte ihn immer ab, und etwas Zerstreuung war genau das, was er in diesem Moment brauchte. Vielleicht würden ihm so auch die Ideen kommen, nach denen er seit Tagen suchte. Er holte das Instrument aus seinem Beutel und legte es vorsichtig auf den Tisch. Feuchtigkeit und Salz waren Gift für die Violine, genau wie all die Temperaturunterschiede hier, der Wechsel von der Kälte der Nacht zur extremen Hitze, die in Libertalia gegen Mittag herrschte. Er kramte ein sauberes Tuch hervor. Dann lockerte er die Spannung der Saiten, ohne sie völlig zu lösen, um in jeden Winkel gelangen zu können.
    »Was machst du da?«, ertönte eine Stimme hinter ihm.
    Er fuhr zusammen.
    Es war Luna. Wieso hatte er sie nicht kommen hören? Ihre Bewegungen waren so geschmeidig, dass sich nicht einmal die Luft um sie herum regte.
    Matthieu musste schlucken, so aufgeregt war er. Solche Gefühle waren für ihn ganz neu, er war aber erleichtert, dass auch ihr Verhalten von einer gewissen Verlegenheit zeugte. Sie errötete sanft. Wie sollte er sich ihr gegenüber nun verhalten? Vielleicht sollte er ihr gestehen, welche Emotionen auf ihn eingeprasselt waren, als er sie auf offener See zum ersten Mal erblickt hatte? Oder vielleicht war Schweigen angebrachter, um in der Stille Raum für all seine Worte zu finden?
    Luna betrachtete die Geige und die gelockerten Saiten.
    »Ich bereite sie gerade zum Spielen

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