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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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aufzuführen, und er will meinen Onkel Tag und Nacht in seiner Nähe wissen. Zu diesem Anlass lässt er nämlich einige der Beete umgestalten, und du weißt ja, wie er sich aufführt, wenn es um irgendwelche Veränderungen geht …«
    »Und Le Nôtre hat dich gebeten, ihn zu begleiten«, murmelte Matthieu nur.
    »Dabei hat er doch bloß mein Wohl im Sinn.«
    »Ich weiß.«
    Nathalie spürte, dass Matthieu ein wenig abwesend war.
    »Geht es dir gut?«
    »Warum sollte es mir nicht gut gehen?«, gab der junge Mann etwas schroffer als beabsichtigt zurück.
    Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er noch kurz zuvor bei seiner Liebhaberin gewesen war, und noch viel mehr, weil er mit ihr über Nathalie gesprochen hatte. Es war, als hätte er seine Freundin damit entehrt. Er redete sich gerne ein, dass er ihr gegenüber nicht untreu war, da sie offiziell ja keine Beziehung führten, obwohl Nathalie sich nichts sehnlicher wünschte. Aber es fühlte sich trotzdem so an, als würde er sie betrügen. Jean-Claude redete ihm wegen des jungen Mädchens immer wieder ins Gewissen – wenn er nicht vorhabe, sich mit Nathalie zu verloben, sollte er sie besser für immer vergessen und ihr keine falschen Hoffnungen machen. Sie hatte es auch wirklich nicht verdient zu leiden. Er war allerdings schon oft kurz davor gewesen, sich dem Zauber ihrer blauen Augen zu ergeben, die vielleicht deshalb nichts sehen konnten, weil sie selbst zu hell erstrahlten. Aus ihrer Dunkelheit heraus, die Tag und Nacht währte, verstand sie ihn besser als jeder andere. Wenn er an ihrer Seite Geige spielte, schloss er die Lider, und sie lauschten gemeinsam der Melodie in all ihren Facetten, hörten nicht nur die Noten, sondern auch das kaum wahrnehmbare Knarzen des Holzes und das Kratzen der Saiten, die jede Interpretation neu und einzigartig machten. Oder sie saßen in einer versteckten Ecke und horchten den Straßengeräuschen: ein Kutschenrad, das nach dem Regen über die nasse Straße fuhr und dabei Wassertropfen verspritzte, Vögel, die zwischen Weizenspreu herumpickten, die Schritte einer Frau in Sandalen, die vorbeieilte, das Säuseln zusammengepresster Lippen und der sinnliche Hauch der Luft, die in der Kehle gefangen war. Warum denn sehen, wenn man hören konnte?
    Unabhängig von ihrer Schönheit und davon, dass sie die Verkörperung alles Sanften und Edlen darstellte, übte Nathalie aber auch noch aus einem ganz anderen Grund eine zweifellose Anziehungskraft auf Matthieu aus: Ihr Onkel war die Tür, die ihm sofort Zugang zu seinen musikalischen Bestrebungen verschaffen konnte. Wenn er Le Nôtres Nichte heiratete, wäre ihm durch das rückhaltlose Wohlwollen des Königs dem Landschaftsgärtner gegenüber der heißersehnte Platz in den Hoforchestern sicher. Warum dann nicht annehmen? Nathalie selbst bat ihn doch jeden Tag darum. Sie versicherte ihm, dass sie ihm niemals Vorwürfe machen würde, weil ihre Liebe nicht völlig erwidert wurde, dass es für sie ausreichte, ihn an ihrer Seite zu wissen, auch wenn er dabei ihre Privilegien ausnutzte. Die Versuchung war groß für Matthieu. Es wäre so einfach, mit Nathalie in ihrem großen Garten der glänzenden Töne zu leben … Er war sicher, dass ein gemeinsames Leben mit ihr in Harmonie verlaufen würde. Zwar würde diese Zukunft keinen furiosen Auftakt oder ekstatischen Schlussakkord für ihn bereithalten, ebenso wenig würden Missklänge jedoch sein Dasein vergällen. Und stimmte es denn nicht, dass er sie auf seine Weise auch liebte? Denn wer konnte schon sagen, worin wahre Liebe bestand? Er verzehrte sich Nathalies wegen nicht in dem Verlangen, das Opernfiguren verspürten, aber wenn sie die Augen schlossen und gemeinsam dem ganzen Universum lauschten, dann war er sicher, dass er sich nie wieder jemandem so nahefühlen würde.
    Doch erneut verwarf er diesen Gedanken. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich mit dieser Frage zu beschäftigen. Eigentlich gab es dafür nie den richtigen Moment.
    »Ich muss gehen.«
    »Warum hast du es denn so eilig?«
    »Jean-Claude wartet am Markt auf mich.«
    »Sollen wir vielleicht mitkommen?«, warf Isabelle augenblicklich ein.
    »Besser nicht. Wir sehen uns, wenn du aus Versailles zurück bist«, versprach Matthieu Nathalie sanft und begleitete seine Worte mit einer zarten Liebkosung.
    »Aber …«
    »Ich werde hier sein, wie immer. Mach dir um mich keine Sorgen und genieß die Uraufführung.«
    Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und warf Isabelle ein etwas

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