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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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nicht für die beiden Türme, zwischen denen eine mächtige Kette Piraten und Feinden den Zugang zum Hafen verwehrte. Sein Blick galt nur noch dem Frachter, der für ihn jetzt Himmel und Erde darstellen sollte, einem riesigen Schiff namens Aventure. Mit seinem niedrigen Vorder- und Achterkastell und gerade genug Freibord, um seine Lage in schwierigen Wassern zu verbessern, erinnerte der Frachter an eine niederländische Hulk.
    Kaum war er an Bord gegangen, begann das Konzert aus Rufen und Zerren an Focken und Klüvern.
    »Segel setzen!«
    Und da war auch schon Kapitän La Bouche. Matthieu hatte ihn sich ganz anders vorgestellt. Auf ihn wirkte er nicht wie ein gebrochener Mann, er strahlte ganz im Gegenteil enorme Stärke aus, so als könnte er allein den hölzernen Riesen unter seinen Füßen bewegen. Seine Stimme war auf dem ganzen Pier zu hören. Er kam auf den Musiker zu, musterte ihn von oben bis unten und hieß ihn mit knappen Worten willkommen, bevor er mit seiner Arbeit fortfuhr. Es handelte sich hier weder um sein Schiff noch um seine Mannschaft, und darum durfte er sich keinen Moment der Unachtsamkeit leisten. Minister Louvois hatte ihm gestattet, als zweiten Mann einen Bootsmann namens Catroux mit an Bord zu nehmen, der ihn im Laufe der Jahre auf vielen Fahrten begleitet hatte. Wenn La Bouche, Matthieu und ein Trupp Elitesoldaten die Aventure in Madagaskar verließen, würde Catroux mit den Matrosen der Kompanie nach Indien weiterfahren und dafür sorgen, dass das Schiff sie zum vorgesehenen Datum wieder abholte. Matthieu brachte seine Tasche in die Kajüte, die man ihm zugeteilt hatte, und kehrte zurück an Deck, weil er sich ein Bild von den Dimensionen des Schiffes machen wollte. Einen Moment lang stand er einfach nur da und drehte sich um seine eigene Achse, ließ sich von einer Spirale aus Stoff und Holz mitreißen, als wäre sie seine Wirbelsäule und die Spanten die Rippen.
    »Beiboote festzurren!«
    »Sind bereits fest angebunden, Kapitän!«
    Die Seeleute führten verschiedene Handgriffe aus, für die sowohl Kraft als auch Fingerspitzengefühl nötig waren. Es erschien unfassbar, dass in diese Nussschale all die Männer passten, dazu Kanonen und Munition, Proviant und Werkzeuge sowie Holz, Taue und Stoffe, die unterwegs gebraucht wurden, um defekte Teile zu reparieren oder zu ersetzen. Es waren sogar einige Ziegen und Hühner an Bord, um die Mannschaft mit frischer Milch und Eiern zu versorgen.
    Matthieu zog sich auf Deck in eine ruhige Ecke zurück. Flaschenzüge sausten durch die Luft. Als die Segel sich im Wind blähten und knatterten, spürte Matthieu in der Magengrube jeden Stoß wie Trommeln, die zur Schlacht rufen.
    »Bringt diese Fässer in den Lagerraum!«
    »Warum liegen die überhaupt noch hier herum?«, knurrte Catroux.
    »Jemand muss nach unten gehen und nachsehen, ob die Artillerie gesichert ist. Es wird gleich ordentlich schaukeln!«, rief La Bouche und warf den drohenden Wolken in der Ferne einen verschwörerischen Blick zu, als ob er geradezu darauf erpicht wäre, sich bereits hier im Hafen dem ersten Unwetter zu stellen.
    Eine Anweisung folgte auf die nächste, die Befehle erklangen in grandiosem Rhythmus. Das Deck des Schiffes wirkte wie eine Opernbühne. Am liebsten hätte Matthieu mit angepackt, zu den Männern gehört, denen der Kapitän seine Befehle in alle Himmelsrichtungen zubrüllte. Er näherte sich dem Bugspriet.
    »Nehmt Abschied von der Heimat, Matrosen!«, ertönte es hinter ihm.
    Jetzt entdeckte er zum ersten Mal den Salzgeruch und die neue Brise, die auf den Wangen brannte. Am liebsten hätte er all diese neuen Eindrücke, die auf ihn einstürmten, in Musik gefasst. Er dachte wieder an das Libretto von Amadis de Gaule , jene Verse, die den Beginn der Heldentaten des Kriegers einläuten, als er den von Nebel bedeckten Wald betritt, hinter dem ihn gleißendes Licht erwartet. Mit Blick auf den Ozean widmete Matthieu seinem Bruder ein paar Worte, die der Wind in Richtung Hafen zurücktrug: »Ich werde immer bei dir sein, Jean-Claude, jenseits des Reichs der Sonne.«

2
    A m ersten Tag der Überfahrt stellte Matthieu etwas fest, was für ihn einer wahren Offenbarung gleichkam: Das Geräusch des Meeres glich der Stille. Auch wenn sein Rauschen noch so tosen konnte, lud es dennoch zum Nachdenken ein, zum Fühlen, zur Kreativität. Das Wasser bäumte sich immer und immer wieder auf, um gegen den Rumpf der Aventure zu schlagen. Manche Wellen führten ihren Angriff aus und

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