Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
sagen. »Eines ist braun, und eines ist blau. Weiß der Himmel, wieso das so ist.« Und die Mutter bekreuzigte sich.
Gabriella setzte das Kind wieder auf den Boden und wandte sich ihrer Nichte zu. Sie nickte wie abwesend. Dann stand sie langsam auf, nahm ihren Stock und sagte:
»Was hältst du davon, meine Kleine, mit mir in den Kräutergarten zu gehen? Meine Augen sind schon trübe, und ich kann mich nicht tief genug bücken – wenn du mir helfen könntest …«
Mit ergebener Miene stand auch Anna auf, übergab ihre Tochter an eines der Küchenmädchen und begleitete die Tante hinaus in das würzige Grün. Sie wusste, was nun folgen würde.
Ascanio betrachtete voller Stolz die Tafel, an der sie nun alle saßen und die Köstlichkeiten seiner Küche genießen würden. Er hatte einen der besten Köche weit und breit nach Lucca holen können und war stolz auf die Fertigkeiten dieses kleinen, fröhlichen Mannes mit dem lockigen roten Schopf, an dem man ihn schon von Weitem erkannte. Der Conte erhob seinen Trinkbecher und prostete seinen Gästen zu. Der schwere lucchesische Wein funkelte in dem reich verzierten Pokal. Dann wandte er sich an die Contessa und hob abermals den Kelch. Sie erwiderte seine Geste mit einer gewissen Schüchternheit, die sie auffallend jung und zerbrechlich wirken ließ. Ihre hellen grauen Augen fanden seinen Blick und ließen ihn nicht mehr los. Wieder stand sein Herz in Flammen. Ascanio spürte, wie etwas in ihm kämpfte. Vivica war eine Göttin gewesen. In Donata wohnte der Teufel. Er rang mit seiner Empfindung für die Frau mit den Alabasterblicken. Dann gewann seine Verletztheit erneut die Oberhand. Es war ihm unmöglich, ihr zu vergeben. Seine Hand krallte sich um den Kelch, und er zitterte leicht, als er das Gefäß absetzte. Vorsichtig blickte er sich um. Außer ihm schien es niemand bemerkt zu haben – bis auf seine Frau. Donata sah ihn noch immer an, traurig, wartend. Er wandte die Augen ab. Noch einen Moment länger, und er wäre zu ihr geeilt und hätte sie an seine Brust gerissen.
»Vater.«
Carlos Stimme ließ ihn aus seinen Gedanken hochschrecken. Der Junge hatte sich breitbeinig neben seinem Vater aufgebaut. Die eine Hand in die Hüfte gestemmt, wie um seiner Tat mehr Nachdruck zu verleihen, zupfte er ihn mit der anderen am Ärmel, um seine ganze Aufmerksamkeit zu erlangen. Die Tischgesellschaft lachte amüsiert.
»Was willst du, Sohn?«
Ascanio sah den Kleinen streng an. Kinder hatten an dieser Tafel nichts verloren.
»In der Küche wird gerade der Schwan gefüllt. Darf ich zusehen, Vater? Bitte. Paolo hat gesagt, sie nähen ihn zu und ziehen ihm seine Federn wieder an …«
»Geh nur.«
Der Conte wusste, dass sich seine Söhne in der Küche des Palazzobesonders wohl fühlten. In dem Küchenmeister und den Dienern dort hatten die beiden Jungen Menschen gefunden, denen sie vertrauten und von denen sie das bekamen, was er und Donata ihnen nicht genügend zu geben vermochten: Liebe und Geborgenheit. Ascanio dachte kurz an seine eigene Kindheit zurück und fühlte für die Dauer eines Wimpernschlags das Glück, das er gespürt hatte, damals, wenn er bei Gabriella auf dem Schoß saß und ihren Geschichten lauschte. Es waren Geschichten von den guten und bösen Geistern der Maremma gewesen, und er wusste, Gabriella würde heute Abend seinen jüngeren Sohn auf den Knien halten und ihm dieselben Geschichten erzählen. Er nahm sich vor, selbst wieder einmal in der Küche vorbeizusehen. Wie um diesen Entschluss zu besiegeln, trank er einen tiefen Schluck aus seinem Kelch und stand auf. Zwei Dutzend Augenpaare blickten ihn erwartungsvoll an. Das war das Zeichen. Der Contewürde nun einen Trinkspruch ausbringen und damit das Mahl feierlich eröffnen. Es wurde still im Saal. Die edlen Gäste griffen nach ihren Pokalen und warteten darauf, dem Hausherrn zuzuprosten.
Ascanio bedachte jeden Einzelnen von ihnen mit einem Blick, einem Lächeln, einem wissenden Kopfnicken. Es war gut, sie alle hier versammelt zu haben, geeint an seiner Tafel. Das Bild, das sich ihm bot, war wirklich beeindruckend. Im Kamin loderte das Feuer hell, und über die erwartungsvollen Gesichter leckten schwarze Schatten. Die goldenen Schnallen der Umhänge und der Schmuck der Damen warfen den Feuerschein dutzendfach zurück, die Muster der seidenen Gewänder führten ein Eigenleben. Welch eine Pracht, dachte der Graf und ergriff das Wort.
Carlo stand staunend an der großen Feuerstelle und wich dem eifrigen
Weitere Kostenlose Bücher