Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
Hofkoch aus Lucca?«
»Ja«, erwiderte Mario sichtlich gelangweilt, »das ist er. Sitzt da, seit es zwölf geschlagen hat, und stopft sich mit Brot und Suppe voll. Er war vier Tage unterwegs und hat Hunger, wie man sieht.«
»Bring mir auch eine Suppe, Wirt. Und Brot. Und einen Becher Wein, nein, zwei Becher Wein. Ich will wissen, was sich im Haus von di Cavalli so tut.«
Martini zwinkerte dem Wirt zu und schlenderte in die Stube. Ohne einen Gruß ließ er sich auf der Bank gegenüber Benedetto nieder. Der sah ihn stumm an und aß ruhig weiter.
»Nun, mein Sohn«, begann der Vogt die Unterhaltung, »was gibt es Neues beim Conte di Cavalli? Was macht zum Beispiel der Bäckersohn, Rocco? Und warum bist du hier und nicht bei deinem Vater? Soweit ich weiß«, Martini tippte sich wichtigtuerisch auf die Brust, »soviel ich weiß, ist eine nicht ganz unbedeutende Jagdgesellschaft bei Ascanio zu Gast, und es ist unbesehen von großer politischer Wichtigkeit, dass die Gäste zufrieden sind – auch was die Küchenkunst anbelangt. Da wird jede Hand gebraucht, und sei sie noch so ungeschickt.«
Der Vogt holte tief Luft, dann sah er dem Jungen ernst ins Gesicht.
»Was ist los, Benedetto? Warum bist du hier?«
»Kann ich ein Stück altes Brot bekommen?«
Bella zuckte zusammen. Sie hatte niemanden kommen hören. Seit dem frühen Morgen war sie damit beschäftigt, Speisen und Getränke heranzuschaffen, damit die Magd sie in die Schankstube zu den Gästen bringen konnte.
»Altes Brot?« Bella wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wir haben kein altes Brot. Unser Brot ist frisch.«
Vor ihr stand ein Junge, wohl an die zwei Jahre älter als sie. Seine Haut war bronzefarben und sein Haar tiefschwarz. Seine Augen hatten die Farbe dunkler Lavendelblüten und leuchteten unter einem viel zu großen Hut hervor, an dem bunte Bänder flatterten. An seinem Blick erkannte sie, dass er wirklich hungrig war. Vorsichtig sah sich das Mädchen um, ob sie beobachtet würden. Wieder trafen sich ihre Blicke.
»Warte im Garten«, sagte sie leise, »ich komme, sobald die Magd bei den Gästen ist.«
Ein vorsichtiges Lächeln erschien auf seinem Gesicht, er nickte, dann war er fort. Bella zog ihr Schultertuch fest und beeilte sich, in den Keller zu kommen und Wein zu holen. Einfachen, ehrlichen Wein aus der Maremma. Die Alten sagten: Wo es gutes Öl gibt, gibt es auch guten Wein. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich die Weine von den lucchesischen Hügeln. Die Trauben von Sangiovese und Trebbiano, von Canaiolo und Malvasia gediehen in den Weinbergen rund um Lucca in unvergleichlicher Weise. Bella hatte von Gianni viel über Rebsorten gelernt und darüber, was einen harmonischen Wein ausmachte. Er hatte ihr erklärt, mit welchem Wein man Speisen unterstützte, um ein feines Aroma regelrecht herauszukitzeln und dem Gericht damit etwas Einmaliges zu verleihen. Und er hatte sie gelehrt, welche Weine gereicht werden sollten, um einen unerwünschten Geschmack wie Bitterkeit zu überdecken. Bella füllte zwei Holzkrüge und dachte an den alten Koch mit den kringeligen roten Haaren. Gianni. Wie es ihm wohl gehen mochte? Ob sie ihn jemals wiedersehen würde? Ihn und Rocco. Rocco, der so viele Rezepturen im Kopf hatte.
»Meine Rezepte liegen in meinem Kopf wie in einem verschlossenen Kasten«, hatte er ihr einmal gesagt, »und du hast den Schlüssel dazu, Bella. Nur du.«
Sie verscheuchte die traurige Erinnerung. Nie würde sie dorthin zurückgehen können. Nachdenklich stieg sie die ausgetretenen Stufen hoch. Altes Brot … Und der Blick des Jungen mit der Bronzehaut ließ sie nicht mehr los.
Als Bella wenig später in den Garten der Schenke schlich, fand sie den Jungen zusammengerollt beim Hühnerstall liegen. Er ist schmutzig, dachte sie, als sie ihn betrachtete, er starrt vor Dreck. Aber er hat gute Augen. Sie kniete sich zu ihm nieder und berührte ihn leicht an der Schulter. Er schrak sofort hoch und blickte sich irritiert um. Der Junge hatte wohl tief geschlafen. Als sich ihre Blicke trafen, mussten sie beide lächeln. Bella reichte ihm einen Laib Brot und einen Streifen Speck und sagte leise:
»Du darfst nicht wiederkommen, verstehst du? Der Wirt ist schlau. Er sieht sofort, wenn etwas fehlt.«
Der fremde Junge blickte sie offen an, dankbar und feinfühlig, irgendwie. Er sagte nichts. Er sah Bella an und griff nach seinem Hut. Langsam drehte er ihn in seinen Händen. Dann zog er eine lange Feder heraus, die darin steckte, und reichte
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