Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
Sogar die Hebammen kauften den Zigeunerinnen ihre Ware ab, auch wenn sie es nie zugeben würden. Die Männer hingegen beschäftigten sich hier, wie es Brauch war, mit Trinken und Kartenspiel.
Nachdem die Wagenburg durch eine doppelwandige Palisade aus dicken Zweigen und Ästen gesichert war und das Lagerfeuer brannte, versammelte der Anführer der Gaukler seine Familie, um gemeinsam für einen gesegneten Winter zu bitten. In dem Jahr, als er Bella der Obhut seines Freundes Massimo übergeben hatte, waren sie zum ersten Mal hierhergezogen. Nun war es schon der vierte Winter, den sie im Chianatal verbrachten.
Der Zigeuner dachte an Bella. Aus seinem Freund Massimo war bei den alljährlichen Besuchen nichts herauszubekommen, und sobald er direkt nach dem Mädchen fragte, wurde der Koch stumm wie ein Fisch. Sie lebte, so viel war sicher, aber das war auch das Einzige, was Massimo durchblicken ließ. Und ich habe doch etwas erfahren, dachte Hector und grinste. Massimos Frau Rosa war ihm bei seinem letzten Aufenthalt in Siena über den Weg gelaufen und hatte gezwitschert wie ein Vögelchen. Ihre Brüste waren noch größer gewesen, als er sie in Erinnerung hatte; sie hielt einen wohlgenährten Säugling an sich gedrückt und berichtete ihm ausführlich von den Geschehnissen in der Küche am Hof di Naninis. Bella habe sich ganz einfach in das Herz des Fürsten gekocht, und der Principe habe sie kurzerhand zu seinem Leibkoch ernannt. Rosas Busen senkte und hob sich vor Erregung. Es war eine Schande. Das Mädchen – gerade mal fünfzehn Jahre alt – habe ihren geliebten Mann von seiner Stelle als Küchenmeister verdrängt. Auf Hectors ungläubigen Blick hin fügte sie hinzu, dass Massimo den Küchendienern die Geschichte zwar etwas anders erzählt hatte, um sein Gesicht zu wahren, aber es sei mitnichten so, dass beide im gleichen Rang stünden. Ihr liebster Massimo leide noch heute unter dieser Schmach wie ein Hund, und der einzige Grund, weshalb er es bislang ausgehalten habe, sei die Tatsache, dass das Mädchen klug genug sei, sich nicht in den Vordergrund zu drängen. Rosa schnaufte und legte ihr Kind an die andere Brust.
»Erst waren es nur die Speisen«, sagte sie leise, »nun will er sie um sich haben, er schätzt ihre Gesellschaft, ihre Meinung. Und …«, Rosa fixierte den Gaukler scharf, »er ist in ihre Schönheit vernarrt. Er kann den Blick nicht von ihr lassen, ebenso wenig wie sein Sohn, der sich seit mehr als drei Jahren dagegen sträubt, die Ehe mit seiner Frau zu vollziehen.«
Der Zigeuner nickte, verstand aber kein Wort. Rosa nickte auch und plapperte weiter. Von den ungewöhnlichen zweifarbigen Augen, dem schmalen Gesicht, dem stolzen Gang.
»Sie ist die Tochter eines Viehtreibers, aber wer sie sieht, denkt, sie ist eine hohe Tochter unserer Stadt.«
Die Magd hatte sich das Mieder gerichtet und ihr Kind zurück in den Korb gelegt. Sie war aufgestanden, und Hector sah, dass ihr bald die nächste Niederkunft bevorstand.
»Es wird Zeit, dass der Fürst einen Mann für sie sucht«, brummte sie, »sonst ist sie an diesem Hofe das, was Habibi bei euch ist, Hector.«
Ihre Augen funkelten. Anscheinend wusste sie über die zahlreichen Ausflüge ihres Mannes zu der zierlichen Zigeunerin Bescheid. Hector, für den diese Bemerkung völlig überraschend kam, spürte, wie seine Wangen glühten. Habibi, diese kleine Hexe … Auch er liebte ihren Körper und ihre Umarmung … Er wich Rosas Blick aus. Die hatte inzwischen den Korb mit dem Säugling gegriffen und wandte sich zum Gehen.
»So ist es also wahr«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu Hector, »was man sich von ihren Liebeskünsten erzählt.«
Ohne ein weiteres Wort an den Gaukler zu richten, ging sie davon und ließ ihn einfach stehen.
»Vater?«
Erschrocken blickte Hector auf. Er hatte zu lange in die Flammen gestarrt … Zwischen Momos dunklen Brauen hatte sich eine steile Falte gebildet. Sein Vater musste lachen, als er ihn so ernst sah, und nahm ihn in den Arm. Er war inzwischen fast genauso groß wie Hector, bestand jedoch nur aus Haut und Knochen und Frechheiten, wie es seine Mutter zu nennen pflegte.
Der Anführer der Gaukler blickte in die Runde, und was er sah, gefiel ihm. Seine Leute waren gut genährt, auch von den Alten und von den Kindern war niemand ernsthaft krank. Sie alle hatten gute Voraussetzungen, den Winter lebend zu überstehen. Er hob seinen Becher und sah den Seinen ins Gesicht, nickte jedem Einzelnen freundlich zu. Die
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