Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
war. Diese Liebe hatte ihr Kraft gegeben. Seine Mutter war nicht bereit gewesen, sich von Wangerooge vertreiben zu lassen. Und er?
Jeels schloss die Augen und ballte die Hände um die Lehnen des Stuhls. Liebte er Wangerooge nicht auch? Seine Mutter hätte gewollt, dass er bliebe! Jeels atmete aus und löste die verkrampften Finger vom Holz.
Nur langsam gelang es ihm, die feste Umklammerung der Vergangenheit abzuschütteln. Das Tagebuch gab ihm Antworten,
aber es warf auch neue Fragen auf. Er wusste nun, dass es den Beutel mit Gold und Schmuck, von dem Tedamöh erzählt hatte, sehr wohl gegeben hatte. Wo mochte er nur geblieben sein?
Mit einer entschlossenen Bewegung stand Jeels auf und reckte die steifen Knochen.
Er würde danach suchen - aber nicht mehr heute Nacht.
19
W emke hatte sich in den Leseraum des Konversationshauses zurückgezogen. Freya schlief noch und sie wollhauses zurückgezogen. Freya schlief noch und sie wollte die Zeit nutzen, um die Zeitungen der letzten Tage durchzuschauen. Unbewusst suchte sie aber auch nach einer Möglichkeit, der Gegenwart Konrads zu entfliehen. Seit Wochen schon suchte er immer öfter ihre Nähe. Ein Drängen stand in seinen Augen und mittlerweile hatte Wemke das Gefühl, keine Minute ihres Lebens mehr allein zu sein.
Am schönsten war für Wemke stets die Abendstunde, wenn sie an Freyas Bett saß und ihr Geschichten erzählte. Die Brandung klang zu ihnen herüber, und die Gestalten in den Sagen und Märchen schienen lebendig zu werden. Mucksmäuschenstill lag die Kleine und lauschte. Sie schien der einzige Mensch ihrer kleinen Familie zu sein, der wirklich glücklich war. Das Kind hing an Konrad und auch an dem Kindermädchen, das sie tagsüber betreute. Sie liebte die Spaziergänge mit Wemke am Strand und konnte, an sie gekuschelt, stundenlang aufs Wasser schauen. Und genauso gerne hörte sie abends ihren Erzählungen zu.
Wenn das Kind eingeschlafen war, zog Wemke sich noch eine kleine Weile mit einem Buch in ihr eigenes Zimmer zurück. Es war ein großer Raum mit hoher Decke, dessen eine Wand von einem riesigen Kleiderschrank aus Walnussholz eingenommen wurde. Ein hochbeiniges, geschnitztes Bett und eine kleine Anrichte vervollständigten das Mobiliar. Vom Fenster
aus konnte man die Dünen sehen. Wemkes letzter Blick, bevor sie am Abend eines langen Arbeitstages müde auf ihr Lager fiel, galt immer dem Nachthimmel.
Im Lesezimmer war kein Mensch. Auch der Damensalon schien verwaist. Das Wetter war nach langer Zeit wieder einmal herrlich und die vielen Gäste, die trotz des schon herbstlichen Septembers hier auf der Insel weilten, flanierten am Strand. Nur aus dem Herrensalon drangen Stimmen zu ihr herüber. Einige der Männer trafen sich dort regelmäßig, um gemeinsam zu trinken, Pfeife zu rauchen und zu diskutieren. Während Wemke eher wahllos das Jeversche Wochenblatt aufschlug, wurde sie ungewollt Zeuge ihres Gespräches. Oberstudienrat Gehrmann aus Jever unterhielt gerade die anderen Männer mit einer Schilderung der Badeweiber, die Wemkes Abneigung ihm gegenüber noch verstärkte.
»Es sind wirklich merkwürdige Erscheinungen. Mager und starkknochig von Gestalt. Zumeist auch noch mit unbedeckten Armen. Und dann die zerfetzten Kleider, das struppige Haar und die von der ständigen Arbeit in der Sonne braun geröstete Haut …« Wemke konnte sich lebhaft vorstellen, wie er angeekelt das Gesicht verzog. »Und die roten Gesichter, wenn sie die Badekarren ins Wasser und wieder herausziehen. So stelle ich mir Hexen vor, meine Herren. Dazu passen die ängstlichen Gesichter der weiblichen Gäste und die entsetzten Schreie der Kinder, die von ihnen untergetaucht werden und sich verzweifelt wehren.«
Wemke ließ empört die Zeitung sinken. Woher wusste er das alles nur? Die Männer durften doch weder den Damenbadestrand noch den der Kinder betreten. Wahrscheinlich versteckte sich der Kerl mit einem Glas in den Dünen vor dem Damenbadestrand. Manch einer tat dort anderes, als Seehunde auf den Sandbänken zu beobachten. Zuzutrauen wäre es ihm.
Dieser Mann war ein unangenehmer Zeitgenosse und ein
Schürzenjäger ersten Grades. Jetzt sinnierte er über die körperliche Beschaffenheit des von ihm bevorzugten Frauentyps.
»Die ideale Silhouette einer Dame gleicht einer sich schlängelnden Schlange: Stattlicher Busen, ausladendes Hinterteil, flacher Bauch. Das Dekolleté am liebsten tief.«
Wemke verzog den Mund. Wenn der Oberstudienrat sich hier auf Wangerooge über
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