Das Geheimnis der italienischen Braut
Ansprüche zu stellen. Außerdem hatte sie immer im Mittelpunkt stehen wollen. Sie liebte es, bewundert zu werden und sich überlegen zu fühlen.
Ehe ihre Tochter wieder in ihr Leben getreten war, war ihr nicht bewusst gewesen, dass sie zu mütterlichen Gefühlen fähig war. Solche Regungen hatte sie sich nie erlaubt, auch nicht während der Schwangerschaft. So war es ihr leichter gefallen, ihr Kind zur Adoption freizugeben. Doch das hatte sich in dem Moment schlagartig geändert, als Kate nach der Geburt trotz aller Bemühungen der Ärzte und der Hebamme stumm geblieben war. Vor lauter Angst und Sorge hatte sich Jackies Herz verkrampft, und als das Baby schließlich doch angefangen hatte zu schreien, hatte sie vor Erleichterung geweint. Wenig später hatte sie heiße Tränen vergossen, weil sie sich entschlossen hatte, ihr Kind sogleich Adoptiveltern zu überlassen, die besser für es sorgen konnten als sie.
Und diese beiden Menschen hatten ihre Sache wirklich gut gemacht. Allerdings konnte sie sich nicht entscheiden, ob sie sich darüber freuen sollte. Es tat jedenfalls sehr weh. Und das alles war ihre eigene Schuld.
In dem Moment stieß das Boot an die Anlegestelle und riss sie aus den düsteren Gedanken. Die zehnminütige Überfahrt hatte sie nur dazu genutzt, sich in Selbstmitleid zu ergehen, wie sie sich insgeheim lächelnd eingestand.
Morgen rede ich mit Romano, dann habe ich vielleicht wirklich einen guten Grund, mir selbst leidzutun, sagte sie sich.
Das Essen fand im großen Ballsaal des Palazzos statt, der überaus prunkvoll ausgestattet war. Die Decken waren mit Stuck verziert, überall entdeckte man Blattgold, und an den Wänden waren in gleichmäßigen Abständen hohe Spiegel angebracht. Für eine großartige Hochzeit war es der geeignete Rahmen. Glücklich und strahlend saß Lizzie neben Jack und sah ihm tief in die Augen.
Nicht an Romano zu denken war für Jackie unmöglich, denn immer wieder erblickte sie ihn, während er sich mit anderen Gästen unterhielt oder einfach nur umherlief, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war.
Vielleicht sollte ich es hier und jetzt hinter mich bringen, zu ihm gehen und mit ihm reden, überlegte sie. Dann hätte sie endlich Ruhe, denn jedes Mal, wenn sie fälschlicherweise glaubte, ihn irgendwo zu entdecken, verkrampfte sich ihr der Magen.
Plötzlich hatte sie das Gefühl, frische Luft und Zeit für sich allein zu brauchen, ohne ständig höflich plaudern, lächeln und freundlich nicken zu müssen. Da das Essen beendet, der Kaffee serviert und die Hochzeitstorte angeschnitten war, würde niemand sie vermissen.
Unbemerkt den Saal zu verlassen war jedoch schwieriger, als sie sich vorgestellt hatte. Ehe sie die Tür erreichte, die auf die riesige Terrasse führte, tauchte ihre Mutter neben ihr auf, hakte sich bei ihr ein und dirigierte sie auf eine Gruppe von Gästen zu.
„Rafaelee?“, sagte ihre Mutter.
In dem eleganten anthrazitgrauen Anzug wirkte Rafaele Puccini mit seinem silbergrauen Haar sehr distinguiert. Obwohl er schon Anfang oder Mitte sechzig war, strahlte er immer noch dieses gewisse Etwas aus, das ihm die Herzen der Frauen zufliegen ließ. Er drehte sich lächelnd um, und Jackie konnte nicht anders, sie lächelte auch.
„Vor einiger Zeit hat Jackie mich nach deinen Sonnenbrillen gefragt, du weißt schon, welche ich meine.“ Ihre Mutter machte eine wegwerfende Handbewegung, wie um den Eindruck zu erwecken, das Thema interessiere sie eigentlich gar nicht.
Alle wussten, dass Lisa Firenzi in den Sechzigern Rafaelee Puccinis Geliebte gewesen war. Die zeitlos klassischen Sonnenbrillen der Reihe Lovely Lisa waren damals und auch jetzt noch die Modelle seiner Kollektion, die sich am besten verkaufen ließen.
Jackie hatte vor vielen Monaten ihre Mutter gebeten, ihr einige dieser klassischen Exemplare für eine Artikelserie mit Modefotos in der Gloss ! zu besorgen. Sie war überrascht, dass ihre Mutter sich daran erinnerte, denn normalerweise vergaß sie so etwas augenblicklich wieder.
Rafaele küsste Lisa die Hand. „Natürlich weiß ich, welche du meinst. Niemals werde ich vergessen, dass mich deine strahlenden und funkelnden Augen damals zu der Modellserie inspiriert haben.“
Nur mit Mühe konnte Jackie sich ein Lachen verbeißen. Sie war Romanos Vater viele Male begegnet, allerdings nie zusammen mit ihrer Mutter. Die drohte ihrem früheren Liebhaber lächelnd mit dem Finger, schien sich jedoch über das Kompliment zu freuen. Warum
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