Das Geheimnis der Maori-Frau (German Edition)
angenommen wurde. Sie präparierten die Beine des Tanks, die parallel zur Scheune standen, indem sie sie etwa auf halber Höhe ansägten. Dann halfen alle – sogar Geraldine Wood – dabei, den wackligen Turm in Schwingung zu bringen.
Schon nach kurzer Zeit ertönte ein Knirschen, dann geschah genau das, was Will bezweckt hatte: Die seitlichen Stützbeine kickten ein, der Tank neigte sich zur Scheune hinunter, sodass sich sein Inhalt – mindestens 300 Gallonen Regenwasser – über das Feuer ergossen, das zischend und fauchend erstickte.
»Bist du eigentlich vollkommen wahnsinnig geworden, Mutter?« Fassungslos schüttelte Josh den Kopf. Sie alle – er, Shelly, Will und seine Mutter – saßen in der Küche des Farmhauses zusammen. Jason und seine Freundin waren von Jasons Eltern abgeholt worden, nachdem Shelly sie über die jüngsten Ereignisse informiert hatte. »Ich wusste ja, dass du eiskalt sein kannst, wenn es darum geht, deinen Willen durchzusetzen.Aber das hier …« Er sprang von seinem Platz auf und fing an, rastlos auf und ab zu laufen. »Ich kann es einfach nicht glauben! Hast du denn überhaupt kein Gewissen?«
Geraldine saß mit hängenden Schultern da und blickte zu Boden. Sie machte keine Anstalten, etwas zu erwidern oder sich gar zu verteidigen.
Ein Geräusch an der Tür zog Joshs Aufmerksamkeit auf sich. Der alte Mann, der Shelly und ihn alarmiert hatte, stand dort und kam nun herüber, um sich schützend vor Geraldine zu stellen.
Josh runzelte die Stirn. Irgendwoher kam der Alte ihm bekannt vor, doch … Auf einmal wurden seine Augen groß. »Du?« Ungläubig schüttelte er den Kopf. »Grandpa Callum, was zum Teufel machst du denn hier?«
Josh konnte nicht fassen, wie sehr sein Großvater sich verändert hatte. Er trug keinen Bart mehr, sondern war glatt rasiert. Außerdem hatte er mindestens dreißig Pfund abgenommen, wodurch auch sein Gesicht schmaler und kantiger wirkte. Draußen im Dunkeln und bei der Hektik hatte Josh ihn nicht gleich erkannt. Und auch jetzt konnte er es noch immer nicht recht glauben …
»Callum?« Fragend schaute Shelly zwischen ihm und seinem Großvater hin und her. »Aber Josh, du irrst dich – das ist Hal!«
»Nun, genau genommen bin ich beides«, erklärte der alte Mann mit einem schweren Seufzen. »Aber das ist eine lange Geschichte …«
»Wir haben Zeit«, entgegnete Josh kühl. Er wusste einfach nicht, was er davon halten sollte, dass sich sein eigener Großvater unter falschem Namen bei Shelly eingeschlichen hatte. »Die ganze Nacht, wenn es sein muss!«
Schicksalsergeben zuckte Callum mit den Schultern. »Alsoschön, ich will es euch erklären. Ihr wisst ja, dass ich die letzten Jahre in der Nähe von Auckland verbracht habe. Ich wohnte in meinem Strandhaus am Meer, lebte in den Tag hinein und beschränkte den Kontakt mit meiner Familie auf kurze Telefonate oder Briefe.« Er seufzte. »Ich vermied alles, was mich an die Vergangenheit erinnerte. Alles, was mich daran erinnerte, welche Schuld ich auf mich geladen hatte, doch … Nun, vor einiger Zeit hörte ich dann durch einen Zufall, dass die Enkelin meines einstmals besten Freundes Ben Makepeace nach Neuseeland kommen würde, um die Farm in Besitz zu nehmen, die sie von ihm geerbt hatte.« Er bedachte Geraldine mit einem vielsagenden Seitenblick. »Mir war gleich klar, dass es Schwierigkeiten geben würde. Und außerdem … Nun, ich wollte Bens Familie kennenlernen, und eine alte – eine sehr alte – Rechnung begleichen. Ich beschloss also, unter falschem Namen nach Aorakau Valley zurückzukehren, um dem Mädchen so gut ich konnte zu helfen. Und auch um Wiedergutmachung für etwas zu leisten, das mein Gewissen seit vielen, vielen Jahren belastet …«
»Vater, bitte!«, stieß Geraldine verzweifelt hervor. Josh hatte seine Mutter noch nie so elend gesehen. »Das geht niemanden etwas an!«
»Ach, mein Kind, siehst du es denn nicht? Wohin hat all der Hass dich geführt?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ich werde nicht länger schweigen. Es ist an der Zeit, dass endlich die Wahrheit ans Licht kommt. Und ich meine die ganze Wahrheit – und nicht das, was mein Vater Ingram alle Welt glauben machen wollte. Ich habe schon viel zu lange geschwiegen.«
Und was er Josh und den anderen dann erzählte, war eine Geschichte voller Leid, Dramatik – und Liebe …
5
Queenstown, Central Otago – 29. September 1954
»Nein, May, nein …« Schluchzend kniete Ben am Boden und hielt
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