Das Geheimnis der Maori-Frau (German Edition)
bringen mochte, ihr blieb einfach keine andere Wahl.
Hier ging es um so viel mehr als nur um ihr persönliches Schicksal!
Geraldine blickte sich um und erlaubte es sich, mit ihren Gedanken für einen Augenblick in die Vergangenheit abzuschweifen. Es war lange her, dass sie zum letzten Mal hier gewesen war. Sehr lange. Damals hatte ihr Großvater Ingram noch gelebt, ein Mann mit Prinzipien und Integrität. Ganz anders als ihr viel zu weichherziger Vater Callum, der Emerald Downs vermutlich in den Ruin gewirtschaftet hätte, wäre er dort je ans Ruder gelangt. Ihm hatten das Ansehen und der Stolz der Familie nicht so viel bedeutet wie Geraldine und ihrem Großvater. Wahrscheinlich hatte der alte Ingram deshalb auch sie und nicht seinen einzigen Sohn ausgewählt, um das Erbe der Woods fortzusetzen.
Diesmal musste sie zu Mitteln greifen, vor denen sie normalerweise zurückgeschreckt wäre. Doch Shelly Makepeace ließ ihr ja keine andere Wahl! Jeder von Geraldines Versuche, diese impertinente Person aus dem Tal zu vertreiben, war gescheitert. Sie hatte wirklich nichts unversucht gelassen, um dieses Ziel zu erreichen – erfolglos.
Und nun stand sie mit dem Rücken zur Wand.
Das matte Schimmern von Metall blitzte auf, als eine Windbö Geraldines Umhang bauschte. Es war ein Kanister, den sie unter dem schweren Stoff verborgen hatte.
Ein Kanister mit Benzin.
Fünf weitere lagerten auf der Ladefläche des Pick-ups, der einem ihrer Farmarbeiter gehörte.
Wenn Geraldine die Makepeace-Farm in Schutt und Asche gelegt hatte, würde Shelly doch wohl begreifen, dass sie nicht nach Aorakau gehörte. Und selbst wenn sie es nicht tat – diese Frau war nicht wie sie. Sie würde nicht die Kraft aufbringen, das Erbe ihrer Ahnen wieder aufzubauen.
Und was, wenn doch jemand zu Hause ist?
Sie schob den unbequemen Gedanken weit von sich.
Als sie vorhin eine gute Bekannte angerufen hatte, die als Stationsschwester im St. Andrews Hospital arbeitete, waren Joshua, Shelly und das Mädchen – Kimberly – noch dort gewesen. Sie selbst war kurz darauf aufgebrochen, und seit sie das Haus beobachtete, war niemand heimgekehrt.
Dass der Junge – Will – nicht daheim war, wusste sie mit Sicherheit. Er war mit einem der Farmarbeiter nach Oamaru gefahren, wie sie aus verlässlicher Quelle erfahren hatte.
Zur Sicherheit hatte sie mit ihrem Handy noch den Anschluss der Farm angerufen und es minutenlang klingeln lassen, doch niemand hatte abgehoben.
Unsinn!, sagte sie zu sich selbst. Da ist niemand!
Sie zögerte noch kurz, dann schraubte sie entschlossen den Drehverschluss des Kanisters auf und ging zur großen Scheune hinüber.
Will saß auf dem Beifahrersitz von Hals Wagen und schaute zum Seitenfenster hinaus. Die in silbriges Mondlicht getauchte Landschaft, die an ihm vorüberzog, hatte eine einschläfernde Wirkung auf ihn, doch er hielt sich krampfhaft wach.
Seit Hal ihm erzählt hatte, dass sein Dad in Aorakau Valley aufgetaucht war, um sich an seiner Mom zu rächen, konnte er an nichts anderes mehr denken. Zugleich spürte Will deutlich, dass da noch mehr war. Etwas, was Hal ihm nicht sagen wollte.
Warum sonst waren sie mitten in der Nacht, kurz nach dem Anruf seiner Mutter, von Oamaru aufgebrochen?
Hal verheimlichte etwas vor ihm – nur was? Es musste etwas wirklich Schlimmes sein, wenn er ein solches Geheimnis daraus machte.
Hoffentlich war seine Mom okay! Und Kim und Emily!
Es war jetzt kurz nach Mitternacht – sie waren seit etwas mehr als einer Stunde unterwegs. Weit konnte es nicht mehr sein. Trotz seiner inneren Anspannung konnte er kaum mehr die Augen offen halten. Sie brannten höllisch, und seine Lider fühlten sich schwer wie Blei an. Was konnte es schaden, wenn er sie für ein paar Sekunden schloss? Ganz kurz nur …
»Was in Gottes Namen …!«
Hals überraschter Ausruf riss ihn aus dem leichten Schlummer, in den er gefallen war. Sofort bemerkte er das orangerote Glühen, das von irgendwo hinter dem Hügel zu stammen schien.
»Wo sind wir?«, fragte er und rieb sich mit dem Handrücken über die müden Augen. Dann richtete er sich auf, als er die Gegend in der Nähe der Farm seiner Familie zu erkennen glaubte. Ja, ganz sicher, da war der Felsen am Straßenrand, der wie ein zum Himmel gereckter Finger aussah. In diesem Moment erreichte der Wagen die Kuppe des Hügels, und er sah, woher das rote Glühen rührte, das er schon aus der Ferne gesehen hatte. »Feuer! Die Scheune brennt!«
Hal gab Gas.
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