Das Geheimnis der Maori-Frau (German Edition)
an. »Bitte, sei ein einziges Mal vernünftig. Denk an Will und Kim – die beiden brauchen dich!«
Aber ich brauche dich doch auch!
Der Gedanke war ihr unwillkürlich durch den Kopf geschossen, doch sie wagte es nicht, ihn laut auszusprechen. Dazu gab er einfach zu viel von ihren wahren Empfindungen preis. Empfindungen, die sie bisher nicht einmal sich selbst hatte eingestehen können – geschweige denn Josh gegenüber.
Sie atmete tief durch. »Ich werde vorsichtig sein«, sagte sie. »Das verspreche ich dir – aber ich will auch helfen. Lass mich nicht hier zurück, bitte!«
»Also schön«, knurrte er unwillig. »Aber dann sieh wenigstens zu, dass du mir nicht im Weg herumstehst, verstanden?«
Mit diesen Worten drehte er sich einfach um und lief weiter. Unterwegs nahmen sie von irgendjemandem Eimer mit Wasser entgegen. Je näher sie dem Feuer kamen, umso schlimmer wurde die Hitze, die ihnen entgegenschlug. Shelly bereitete das Atmen bereits Mühe, und die beiden schweren Wassereimer zogen wie Bleigewichte an ihren Armen. Doch sie zwang sich, die Zähne zusammenzubeißen. Wenn Josh auch nur das geringste Anzeichen von Schwäche an ihr bemerkte, würde er sie garantiert endgültig zum Wagen zurückschicken. Und das wollte sie auf keinen Fall riskieren!
»Was ist passiert, Tim?«, fragte Josh einen Mann, der ihnen mit einem leeren Wassereimer entgegenkam. Er musste schreien, um gegen das Brüllen des Feuers anzukommen.
»Keine Ahnung! In der Scheune hat es angefangen, dabei gibt es dort nichts, was von allein in Brand geraten sein könnte«, erwiderte der Mann, den Josh mit Tim angesprochen hatte. Der Blick seiner grauen Augen in dem mit dunklem Ruß verschmierten Gesicht spiegelte zu gleichen Teilen Wut, Verzweiflung und Resignation wider. »Da steckt Methode dahinter, Wood!«
»Du denkst, unser Feuerteufel hat wieder zugeschlagen?«
Die Bezeichnung, die Josh verwendete, ließ Shelly trotz der mörderischen Hitze einen eisigen Schauer über den Rücken laufen.
»Du hast bestimmt schon davon gehört; die Feuer haben bereits vor ein paar Monaten angefangen«, erklärte er ihr. »Zuerst betraf es nur ein paar leer stehende Schuppen und Baracken, doch es handelte sich ganz offensichtlich um Brandstiftung. Schon damals hat die Feuerwehr eng mit der örtlichen Polizei zusammengearbeitet, aber der Täter war wie ein Phantom. Und dann brannte die erste Farm und …« Er verstummte abrupt. Seine Stirn legte sich in Falten. »Hast du das gehört? Das klang wie ein …!« Er lief los, ohne den Satz zu beenden – geradewegs auf eines der Nebengebäude zu, dessen Untergeschoss bereits in Flammen stand.
»Josh!«, schrie Shelly entsetzt, als sie erkannte, was er vorhatte. Wollte er etwa dort hinein? Mitten in das unvermindert heftig wütende Feuer?
Hilflos rannte sie ihm nach. Jetzt hörte sie es ebenfalls: ein leises Rufen, immer wieder unterbrochen von heftigem Husten. Und dann, als eine Windbö den dichten Qualm und Rauch aufwirbelte, sah sie ein kleines Mädchen am Dachfensterder Scheune, und ihr gefror das Blut in den Adern. »Grundgütiger!«
Auch andere bemerkten die Kleine. Irgendwo hinter Shelly schrie eine Frau auf. »Mein Kind!« Ihre Stimme überschlug sich vor Angst und Entsetzen. »O Gott, Tim! Es ist Tara! Tara!«
Das Rufen des Mädchens – Shelly schätze es auf sechs oder sieben Jahre – wurde immer verzweifelter und jämmerlicher. Als die Flammen sich nun auch bis zum Heuboden durchfraßen, kletterte das Kind auf das schmale Fensterbrett.
»Eine Leiter«, schrie Josh. »Wir brauchen eine Leiter!«
Gleich mehrere Leute rannten los, doch Shelly ahnte, dass sie nicht rechtzeitig zurückkommen würden, um das Mädchen aus der Flammenhölle zu befreien. Hektisch blickte Shelly sich um und raufte sich das Haar. Wo blieb denn bloß die Feuerwehr? Mit dem Leiterwagen hätten sie vielleicht noch eine Chance, aber so …
Das Feuer breitete sich rasend schnell aus, und das Fenster unter dem Dach der Scheune lag zu hoch, als dass die Kleine sich mit einem Sprung hätte retten können. Der einzige andere Weg ins Freie führte durch das Innere des Gebäudes, doch das stand lichterloh in Flammen. Das würde das Mädchen niemals schaffen!
Josh schien zu einem ähnlichen Schluss gekommen zu sein wie Shelly. Entschlossen goss er den Inhalt des Wassereimers über sich aus und lief, ohne noch einmal zurückzublicken, auf die brennende Scheune zu.
3
Aorakau Valley, 8. Juli 1954
»Du brauchst mir
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