Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
ein so teures Präsent zu machen? Sie seufzte und stand auf. Wahrscheinlich war es die Idee seines Vaters gewesen, und Chassim war nur als dessen Bote aufgetreten. Wie schön das kleine Kreuz war! In einer spontanen Geste führte sie es an ihre Lippen und küsste es. Sie würde es immer bei sich tragen. Es war ein wunderbares Gefühl, ein Andenken an einen Menschen zu haben, den man heimlich liebte. Sie erschrak über sich selbst. Wohin ihre Gedanken sie führten! Diese Liebe war aussichtslos. Ein Graf und ein Bauernmädchen – undenkbar.
Hastig schob sie das Kettchen unter ihre Tunika und verließ das Zelt. Kurz hielt sie noch Ausschau nach Gero und dessen Gefährten. Gott sei Dank waren sie nicht mehr zu sehen.
Auf dem Nachhauseweg schlug sie ein zügiges Tempo an und nahm absichtlich einen größeren Umweg in Kauf, um nicht doch noch Gero oder dem Burgkaplan über den Weg zu laufen. Dieser eitle und selbstgefällige Priester mit seinen bohrenden Fragen hätte ihr jetzt gerade noch gefehlt. Ihm wäre todsicher aufgefallen, dass etwas nicht mit ihr stimmte, weil ihr die Aufregung über die unerwartete Begegnung mit Chassim bestimmt noch ins Gesicht geschrieben stand. Was sollte sie tun, wenn sie auf einen der beiden traf? Nun, sie würde sich mit Bruder Thomas besprechen, vielleicht wusste er Rat. Energisch beschleunigte sie ihre Schritte.
IX
A ls Anna zu ihrem Haus vor der Stadtmauer kam, sah sie, dass sie Besuch hatten. Ein Reitpferd stand vor dem Eingang, die Zügel am Torpfosten festgebunden. Sie kannte das Pferd nicht, aber die Satteltasche ließ erkennen, dass es von der Burg des Grafen stammte.
Leise betrat sie das Haus durch den Hintereingang in der Scheune. Schon im Flur konnte sie Stimmen in der Küche hören. Anna schlich sich näher heran, um zu verstehen, worüber gesprochen wurde. Möglicherweise war der Besucher ein einfacher Patient, der auf der Suche nach Hilfe zu ihrem Haus gekommen war. Gerade wollte sie die Küche betreten, als sie Bruder Thomas sagen hörte: »Und wenn ich mich weigere, der Bitte des Burgkaplans nachzukommen – was geschieht dann?«
Anna beschloss, lieber ungesehen zu bleiben und zu lauschen.
Eine männliche Stimme antwortete: »Wenn Ihr mich so fragt – Ihr wärt besser beraten, der Bitte seiner Gnaden freiwillig nachzukommen, Bruder Thomas. Der Burgkaplan sieht es nicht gern, wenn man seinem Wunsch nicht unverzüglich Folge leistet.«
»Verzeiht – wollt Ihr mir drohen? Aus welcher Befehlsgewalt heraus sollte ich dem Burgkaplan Folge leisten? Er ist nicht mein Abt, dem ich Gehorsam geschworen habe.«
»Ich bin nur der Überbringer seiner Botschaft, Bruder Thomas.«
»Nun gut. Richtet ihm aus, ich werde ihn morgen aufsuchen. Noch in der Früh vor der Messe, wenn es ihm recht ist.«
»Ganz wie Ihr meint. Gott zum Gruß, Bruder Thomas.«
»Gott zum Gruß.«
Anna verschwand schnell hinter der nächsten Ecke, um nicht gesehen zu werden. Der Bote verließ das Haus durch den Vordereingang, schwang sich auf sein Pferd und ritt davon.
Anna betrat die Küche und sah sich einem wütenden Bruder Thomas gegenüber, der bei ihrem Anblick sogleich in eine aufgeregte Tirade ausbrach: »Bestellt mich dieser eingebildete Burgkaplan zu einer Unterredung ein, als ob ich sein Lakai wäre!«
»Was kann er von Euch wollen?«
Bruder Thomas tigerte aufgebracht hin und her. »Mich sehen. Mich einem Verhör unterziehen. Mich über meine Herkunft, meine Ausbildung und meinen Orden ausfragen. Was weiß ich. Genaueres ließ er nicht ausrichten. Wahrscheinlich, damit ich vor lauter Angst die ganze Nacht kein Auge zutun kann. Was glaubt er eigentlich, wer er ist? Der Erzbischof?«
Anna setzte sich. »Das ist gar nicht so weit hergeholt. Der Erzbischof höchstpersönlich wird ebenfalls zum Turnier erwartet.«
Bruder Thomas sah sie überrascht an. »Wenn man vom Teufel spricht …« Er warf einen kurzen, entschuldigenden Blick gen Himmel, bekreuzigte sich hastig und murmelte: »Parce mihi, Domine, qui es Sueba sum!« Dann setzte er sich entmutigt zu Anna an den Tisch und goss sich einen großzügigen Schluck vom Weinbeutel in einen Becher ein. »Soll ich Euch auch einen Becher einschenken?«, fragte er sie anstandshalber.
Anna schüttelte verneinend den Kopf. »Wahrscheinlich will er Euch über unsere Zusammenarbeit ausfragen. Und welcher Teufel Euch geritten hat, dass Ihr Euch ausgerechnet mit mir zusammengetan habt.«
»Und was soll ich ihm sagen? Die Wahrheit?«
Sie sahen sich
Weitere Kostenlose Bücher