Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
lang die Gastfreundschaft des Klosters missbraucht habe. Aber das kann eigentlich niemand wissen. Als mich der Erzbischof wegen meiner Lepra aus dem Kloster geworfen hat, war ich für alle in Heisterbach immer noch Bruder Marian. Und als solcher bin ich vor ihren Augen gestorben.«
»Wie das?«
»Sie denken, Bruder Marian ist ertrunken. Er … ich wurde zum Tod verurteilt, weil ich es gewagt hatte, ein Haus zu betreten, obwohl es mir als Leprakranke verboten war. Ich wurde gezwungen, in den Fluss zu springen. Aber ich konnte ihnen entkommen. Es war Nacht, keiner hat gesehen, dass ich mich gerettet habe. Wenn sie jetzt erfahren, dass ich noch lebe, werden sie alles daran setzen, mich zu beseitigen. Und alle, die davon wissen, ebenfalls.«
Aaron zuckte mit den Schultern. »Warum sollten sie erfahren, dass du noch lebst? Kein Mensch sucht dich, wenn alle denken, dass du ertrunken bist. Bruder Marian ist tot. Vielleicht wäre es am besten, du begräbst ihn endgültig und lässt ihn nie wieder auferstehen.« Er sah den Schreck in Annas Augen und entschuldigte sich: »Tut mir leid, manchmal schieße ich mit meinem Spott über das Ziel hinaus. Es war nicht böse gemeint.«
Er stand auf und überlegte laut. »Meine Schwester hat dich im Bad gesehen. Sie und Rebecca wissen also Bescheid …«
»Dann hat sie es Euch verraten?«
»Ja. Aber ich habe es auch so geahnt. Seit du beim Begräbnis meines Dieners so klar und hell und mit einer Stimme wie ein Engel gesungen hast. So als hättest du den Stimmbruch noch vor dir. Dabei hast du mir nachher erzählt, dass du schon über sechzehn bist. Aber ich wollte warten, bis du es mir selber verrätst. Meine Schwester ist jedoch eine gar zu neugierige Person. Sie kam gleich zu mir gerannt mit ihrer Entdeckung. Ich werde sie zum Stillschweigen verpflichten müssen. Ebenso wie Rebecca. Das wird nicht einfach.« Er lächelte. »Die beiden können schlecht etwas für sich behalten. Aber in diesem Fall werden sie es müssen. Denn es geht auch um ihre eigene Sicherheit. Ich regle das, hab keine Angst. Wir gehen jetzt in die Küche. Esther und Rebecca haben das Abendessen zubereitet, du musst ja am Verhungern sein …«
Anna schüttelte den Kopf.
»Keine Widerrede!«, sprach Aaron streng und zog Anna vom Stuhl hoch. »Du musst essen, das ist eine Anweisung des Medicus. Dann setzen wir zwei uns zusammen, und du erzählst mir alles. Danach beraten wir, was am besten zu tun ist. Einverstanden?«
Anna zuckte mit den Schultern und schaute zu Boden wie ein kleines, trotziges Mädchen, das nicht wusste, was es wollte. Sie hatte das Gefühl, als ob es zwei Annas gäbe. Eine, die ernst und erwachsen war und schon viel Leid gesehen hatte, und eine, die zerbrechlich und verletzlich war, wenn sie einen schwachen Moment hatte und ihre innere Zuversicht einen Dämpfer erhielt. Aber diese zweite Anna zeigte sie normalerweise niemandem. Dass sie bei Aaron eine Ausnahme gemacht hatte, war nur mehr ein Beweis ihres Zutrauens, das sie inzwischen zu ihm gefasst hatte.
Sanft nahm er ihr Kinn in die Hand und drückte es spielerisch nach oben, so dass sie ihn ansehen musste. »Einverstanden?«, wiederholte er.
Da stahl sich zum ersten Mal ein Lächeln in Annas Gesicht. Sie nickte.
»Na also«, sagte Aaron zufrieden und schob Anna in Richtung Küche, aus der es schon so verführerisch duftete, dass Anna das Wasser im Mund zusammenlief.
Bei Tisch aß sie nach Aarons Segensspruch drei Portionen mit Huhn angereicherten Brei, der hervorragend war, ein halbes ungesäuertes Brot und trank dazu zwei Becher mit Wasser verdünnten Wein. Rebecca und Esther staunten nicht schlecht über den gewaltigen Appetit des dünnen Mädchens und freuten sich, dass es ihr so gut schmeckte. Als Anna schließlich satt war und sich bedanken wollte, sank ihr vor Müdigkeit der Kopf auf die Tischplatte. Den Holzlöffel hielt sie in der Faust, als wollte sie ihn nie mehr loslassen. Aarons Sud hatte Wirkung gezeigt.
VI
E s war mitten in der Nacht, und Gero war soeben eingenickt. Das Festmahl mit dem anschließenden Gelage war ausgefallen, weil seine Kameraden, Oswald und Lutz, nach Worms geritten waren, um sich auf dem dortigen Rossmarkt nach neuen Pferden umzusehen. Plötzlich klopfte es heftig an der Tür zu seinem Schlafgemach. Ohne seine Antwort abzuwarten, wurde sie aufgerissen und ein Diener des Erzbischofs trat herein.
»Verzeiht mein Eindringen, Herr Graf, aber Euer Onkel, der Bischof, wünscht Euch zu
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