Das Geheimnis der Puppe
Stock.
»Du wirst hier am Rand bleiben«, befahl Laura.
»Geh nicht in das Wasser rein. Und komm nicht auf die Idee, etwas davon zu trinken. Es ist schmutzig, davon wird man krank.«
Dann ging sie zurück zum Haus. Ich schlenderte noch ein wenig kreuz und quer durch den Garten. Im Schatten, unter den Bäumen, war die Luft angenehm. Auch hatte ich draußen nicht das drängende Gefühl, etwas für Laura tun zu müssen. Ich schaute mir einfach das Haus an. Die Perspektive gefiel mir. Von hier aus betrachtet wirkte es nicht ganz so klobig. Immer wieder blieb ich stehen und spähte durch Laub und Zweige zurück. Dieser Garten war wirklich die reinste Wildnis. An manchen Stellen reichte mir das Gras bis an die Knie, an anderen hatten sich Nesseln ausgebreitet, bildeten kleine, hochgereckte Inseln, die höllisch brannten, wenn man ihnen zu nahe kam. Von einem solchen Fleck aus hatte man einen besonders guten Blick. Man überschaute die gesamte Rückfront, ebenso die rechte Giebelwand, an der der Eingang zum Keller lag. Die Tür stand offen, und so aus der Ferne wirkte sie wie ein dunkler, drohender Schlund. Ich ließ den Anblick und das merkwürdige Gefühl dabei eine ganze Weile auf mich einwirken. Dann ging ich zurück und schrieb die gesamte erste Einstellung neu. Mochte der Regisseur beleidigt sein oder scheinbar bessere Einfälle haben. So würde mein Film beginnen. Angefangen bei dieser Insel aus hüfthohen Nesseln, die mehr als alles andere deutlich machte, daß viele Jahre vergangen waren. Dann den Blick oder die Kamera durch die oberen Zweige eines kümmerlichen Strauches auf die Rückfront des Hauses gerichtet. Langsamer Schwenk zur Giebelwand, die dunkel gähnende Türöffnung. Um das Haus herum zur Vorderseite, wenn eben möglich bei Einsetzen der Dämmerung, mit tief stehender Sonne über den schwarzen Dachziegeln. Ich war begeistert allein bei der Vorstellung. Den ganzen Nachmittag über hielt Laura sich in ihrem Zimmer auf. Als ich zurück ins Haus gekommen war, hatte sie die Tür geschlossen. Ein willkommener Anlaß, daran vorbeizugehen. Aber nachdem ich die Einführungsszene zu Papier gebracht hatte, mich zwangsläufig wieder Sandy zuwenden mußte, drängten sich die Vergleiche gewaltsam auf. Ich ging hinunter, um zu sehen, was Laura tat. Sie saß vor dem Tisch, den sie sich unter das Fenster geschoben hatte, arbeitete mit Tusche und Pinsel die einzelnen Szenen der Fernsehspots aus. Vier davon wurden jeweils auf die linken Seiten einer Kladde gezeichnet, rechts daneben stand der Text. Die beiden Plakatentwürfe, von denen Laura beim Essen gesprochen hatte, lagen auf dem Bett ausgebreitet. Auf dem einen waren die Umrisse einer friedlich grasenden Kuh, auf dem zweiten die Konturen einer gefüllten Milchflasche abgebildet. Und auf der Klappe des Sekretärs lagen Unmengen von Zetteln, auf denen Laura sich die Sprüche notiert hatte, die ihr im Laufe der letzten Tage eingefallen waren. Und zwischen diesen Zetteln lag ein altes, abgegriffenes Buch. Der Einband war aus braunem Leder, aus dem gleichen Material war auch der kleine Riegel mit dem winzigen Schloß, der die beiden Deckel zusammenhielt. Laura bemerkte meinen Blick sehr wohl, aber sie zeichnete ungerührt weiter.
»Wo hast du es gefunden?«
fragte ich. Laura deutete vage in Richtung Sekretär. Offenbar hatte sie mit ihrer Nagelfeile eines der verschlossenen Fächer aufgebrochen.
»Was versprichst du dir eigentlich davon, in Steiners Sachen herumzuschnüffeln.«
fragte ich. Laura hob flüchtig die Achseln. Sie hielt den Kopf über ihre Kladde gesenkt, als sie mir antwortete:»Vielleicht hat er auch etwas über meine Mutter geschrieben.«
Und endlich drehte sie mir das Gesicht zu. Der Ausdruck darauf war fast schon traurig zu nennen. Laura seufzte einmal.
»Ich weiß, daß es dir nicht recht ist, Tom. Aber auf diese Sachen hat niemand Anspruch erhoben. Es wird sich auch niemand darüber aufregen, wenn ich ein paar Fächer aufmache. Es sei denn, du regst dich darüber auf. Wenn wir das Haus gleich gekauft hätten, könnte ich aus dem Sekretär Kleinholz machen, kein Hahn würde danach krähen. Warum kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen? Ich tu doch niemandem weh, wenn ich hier herumschnüffele, wie du das nennst.«
»Niemandem, außer dir selbst«, sagte ich.
»Soll ich mir das ruhig ansehen.«
Laura grinste flüchtig.
»Dir wird nichts anderes übrigbleiben, mein Lieber. Und deshalb wäre es für uns beide am besten, du kümmerst dich
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