Das Geheimnis der Puppe
hatte, gab seinem Teller einen Stoß und sprang vom Stuhl. Dann baute er sich vor mir auf, Entrüstung vom Scheitel bis zu den Fußsohlen.
»Ich habe noch nie gelügt.«
»Gelogen«, sagte ich ganz automatisch. Aber Danny rannte hinaus, stürmte die Treppen hinauf und knallte die Tür seines Zimmers derart hinter sich zu, daß ich selbst im Keller die Vibration noch unter den Füßen spürte. Später hörte ich ihn weinen. Selbst am nächsten Morgen schmollte er noch. Laura war wieder unterwegs. Und wie immer, wenn wir alleine waren, hockte Danny den gesamten Vormittag über in einer Ecke meines Arbeitszimmers, um sich herum einen Fuhrpark verteilt. Er hatte auch früher regelmäßig in meiner Nähe gespielt. Das Gebrumm oder das Kreischen der Bremsen, das er dabei veranstaltete, hatte mich nie gestört. Es störte auch nicht, wenn er zwischendurch irgendwelche Fragen stellte. Aber an dem Morgen brummte er nur. Und was mich störte, war das schlechte Gewissen. Vielleicht war es mehr als nur das, eine Art Schuldgefühl ihm gegenüber. Dieser Umzug hatte ihn aus allem herausgerissen, was ihm vertraut war. Seine Freunde waren unerreichbar geworden. Und zu allem Überfluß waren seine Eltern in eine Krise geraten. Es fiel mir schwer, mir das einzugestehen, aber Krise war genau das richtige Wort für unsere derzeitige Situation. Ich nahm mir vor, ihm ein oder zwei Stunden am Nachmittag zu widmen. Vielleicht konnte ich ihm irgendwie begreiflich machen, was hier vorging. Aber am frühen Nachmittag lief er in den Garten. Die schlimmste Tageshitze war vorbei, und Danny spielte zuerst am Teich, anschließend grub er Löcher in den Erdwall der Terrasse. Das war der. Juli, ein Mittwoch. Und mittwochs war unser Eiertag. Da kam Brigitte Greewald kurz nach vier. Ich wußte nicht, ob Laura inzwischen mit ihr über das Kind gesprochen hatte. Ich selbst hatte es schon fast wieder vergessen. Es fiel mir immer nur dann wieder ein, wenn ich das Kind im Garten sah. Abends schien es nicht mehr zu kommen, aber mittwochs sah ich es fast regelmäßig. Und als Brigitte Greewald an einem Freitag Ende Juni einen halben Zentner mittelfrühe Kartoffeln geliefert hatte, war es auch für ein paar Minuten vor der Terrasse hin und her gesprungen. Danny war schon seit gut einer Stunde draußen, hockte mit einem Teil seines Fuhrparks vor der Terrasse, als ich den Wagen die Einfahrt hinaufkommen hörte. Ich ging in den Keller, nahm die Eier in Empfang und überlegte noch, ob ich das Kind zur Sprache bringen sollte. Aber ihr persönlich gegenüber zu stehen, war doch etwas anderes, als in Gedanken den Moralapostel zu spielen. Sie machte einen so biederen und gutmütigen Eindruck, erkundigte sich in freundlichem Ton nach Laura. Es klang nicht einmal neugierig, eher mitfühlend, wie man sich eben als Nachbarin nach dem Befinden erkundigte.
»Ist Ihre Frau wieder unterwegs.«
Ich nickte kurz, und sie meinte:»Daß sie in ihrem Zustand noch so weit mit dem Auto fährt. Und auch noch ganz alleine. Haben Sie keine Angst, daß mal was passiert.«
Als ich lässig den Kopf schüttelte, fragte Brigitte Greewald:»Wann ist es denn soweit.«
»Mitte November«, sagte ich. Sie nickte voller Anteilnahme.
»Da hat sie ja noch einige Zeit vor sich. Ist sicher nicht angenehm, bei der Hitze.«
Dann kamen ein paar Sätze, an die ich mich nicht mehr erinnere, und schließlich meinte sie:»Der Kleine freut sich sicher schon auf das Geschwisterchen.«
»Ja«, sagte ich und schaffte es sogar zu lächeln.
»Für ihn war der Umzug ein kleiner Weltuntergang. Er vermißt seine Freunde. Im Dorf scheint es kaum Kinder zu geben.«
Brigitte Greewald lachte leise.
»Ach, es gibt schon welche. Aber das Haus hier liegt halt ein bißchen abseits. Warum melden Sie ihn nicht im Kindergarten an? Da findet er bestimmt schnell Kontakt. Reden Sie doch mal mit dem Pfarrer in Kirchherten. Der kann Ihnen bestimmt einen Platz beschaffen.«
Dann sprachen wir über die Mängel des Dorfes, keine Grundschule, keinen eigenen Kindergarten, über den Pfarrer, der ein sehr hilfsbereiter Mann sein sollte, und über den weiten Weg zum Kindergarten des Nachbarortes.
»Da werden Sie ihn morgens hinbringen müssen«, sagte Brigitte Greewald.
»Das machen alle aus dem Dorf. Man kann so kleine Kinder ja nicht alleine laufen lassen.«
Jetzt konnte ich mich nicht mehr drücken. Sie gab mir das Stichwort.
»Da bin ich ganz Ihrer Meinung«, hakte ich ein, »aber der Ansicht scheint hier nicht
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