Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
es ging um die Wahrheit und um die Ewigkeit, denn sie würde den Menschen nach seinem kurzen Erdenleben aufnehmen. Doch ob er in alle Ewigkeit in der Hölle geschunden oder im Paradies umsorgt würde, hing einzig und allein von dem Verhalten ab, das er auf Erden an den Tag legte.
Nach einiger Zeit ließ sich der Sekretär des Bischofs, Konrad, blicken, ein kleiner, verschlagener Bursche mit einem Fuchsgesicht.
Sicut erat in principio, et nunc, et semper.
Et in saecula saeculorum.
Er hatte Mühe, sich Gehör zu verschaffen, und musste warten, bis die Frauen den Choral beendet hatten. Doch dann war er nicht schnell genug.
»Was willst du?«, fragte ihn Mechthild freundlich, als wäre der Sekretär höflich in ihr Haus gekommen, um sie um Hilfe und Beistand zu bitten.
Obwohl Konrad seinem Herrn an Grausamkeit und Hinterhältigkeit in nichts nachstand, verunsicherte ihn das sichere Auftreten der Oberin der Beginen. »Der gnädige Herr Bischof stellt euch vor die Wahl. Entweder ihr kehrt zu euren Familien zurück, heiratet oder tretet in ein reguläres Kloster ein …«
»Oder?«, fragte Mechthild streng.
»Oder ihr werdet morgen früh im Ill als relapsa ersäuft!«
»Da wir keine Ketzerinnen sind, können wir auch nicht rückfällig sein. Das besagt doch der Ausdruck relapsa , der laut Kirchenrecht nur für einen rückfälligen Häretiker verwandt wird.«
»Ich habe nur Anweisungen, euch den Richtspruch des Herrn Bischofs mitzuteilen. Und außerdem: Mit einem Weib disputiere ich nicht.«
»Gab es denn ein Verfahren?«
»Versucht nicht, die Worte zu verdrehen! So wie ich es verkündet habe, so wird es sein. Entscheidet euch!«
»Das ist Unrecht. Wir haben ein Recht auf ein Inquisitionsverfahren.«
Der Sekretär ließ ein Meckern hören. »Damit eure Freunde, die Predigerbrüder, euch in Schutz nehmen? Es wird kein Verfahren geben, kehrt um oder sterbt! Mehr habe ich euch nicht zu sagen!«
»So höre denn und bestelle deinem Bischof: Ob er uns in den Tod schickt oder nicht, das Maß ist ohnehin voll. Dein Bischof und dich wird der Teufel holen. Ihr seid verflucht! Ihr seid Diener des Satans. Es ist an euch umzukehren, nicht an uns. Würdet ihr doch die Stimme des Schöpfers in euch vernehmen und ablassen vom Weg des Teufels! Es ist nicht zu spät, euer Seelenheil kann noch gerettet werden, noch könnt ihr der ewigen Verdammnis entgehen. Rettet euch!«
Konrad wurde mit einem Mal blass und begann zu zittern. »Bittet für mich, hohe Frau! Was kann ich arme Kreatur für die Verbrechen meines Herrn? Muss ich ihm denn nicht zu Willen sein? Heißt es nicht, dass die Obrigkeit von Gott ist? Und ist der Bischof nicht die Obrigkeit? Bittet für mich, hohe Frau!«
Mechthild sah ihn durchdringend an. »Das kann ich nicht. Jeder Mensch ist vor dem Jüngsten Gericht persönlich für seine Sünden verantwortlich. Jesus sagt zu Simneon, den man Petrus nennt: Simon, Simon, siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. «
Nach diesen Worten wandte sie sich den Frauen zu, in deren Augen Stolz auf ihre Oberin stand, während Konrad für einen Moment wie zerstört wirkte, bevor er sich straffte und sein Gesicht einen grausamen Ausdruck annahm. Doch Mechthild kümmerte sich nicht mehr um den Sekretär. Was ging sie dieser Wurm an? Was ging sie der Bischof an? Und weiter: Was konnten ihr weltliche Machthaber anhaben, wo sie doch den Himmel offen sah?
»Ihr guten Frauen«, hob sie an, »es ist alles recht, und es ist alles richtig. Jede von euch muss jetzt entscheiden, ob sie mich verlässt oder mit mir in den Tod geht! Ganz gleich, wie eure Entscheidung ausfällt, ihr seid wegen eures Entschlusses keine schlechteren oder besseren Men schen, ihr verliert nichts und ihr gewinnt nichts, eure Wahl muss nur unbedingt aus freien Stücken erfolgen.«
Alle Beginen, insgesamt sechzig Frauen, entschieden sich dafür, Beginen zu bleiben, und somit für den Tod. Eine nach der anderen legte ihr Bekenntnis ab. »Ich bleibe bei dir.« – »Nicht mehr Begine zu sein, wäre für mich der wahre Tod.« – »Morgen sehen wir ins Antlitz des Herrn.«
Nie und nimmer würden sie ihre Freiheit aufgeben, nie und nimmer ihren Dienst am Herrn verraten, nie und nimmer ein Joch dulden, sei es das eines Vaters, eines Ehemannes oder eines Priesters. Wenn Gott in seiner unendlichen Güte sie mit dem Martyrium zu belohnen trachtete, um sie zu sich ins Paradies zu holen, warum sollten sie sich seinem Willen dann verweigern?
»Bis morgen
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