Das Geheimnis der Rosenlinie - Esch, W: Geheimnis der Rosenlinie
frisch und kühl und er atmete tief ein. Dann ging er langsam zurück zur Italienischen Herberge. Matthias wollte morgen frisch und ausgeruht dem Vizekanzler gegenübertreten. In seiner Kammer holte er noch einmal Caravaggios Skizzenbuch vor. Er blätterte es noch einmal durch. Hatte er vielleicht etwas übersehen?
Giovanni Francesco Abela erschien pünktlich zum Glockenschlag vor der Basilica San Giovanni.
Matthias und Pater Theophil waren nur kurz vor ihm dort eingetroffen.
»Ich freue mich, dass die Herren Zeit haben und meiner Einladung folgen«, begrüßte der Vizekanzler die beiden.
»Bitte folgt mir in die Kathedrale. Ich möchte Euch etwas zeigen.«
Gemeinsam betraten sie die an ein Kastell erinnernde Kirche, die aus hellem Kalkstein erbaut wurde. Das prunkvolle Innere der Klosterkirche entschädigte für das schlichte äußere Erscheinungsbild. Links und rechts vom Hauptschiff der Kathedrale waren zwölf Kapellen angeordnet. Im Boden waren bestimmt Hunderte von Grabplatten eingelassen, die an verstorbene Ritterbrüder erinnerten. Die Seitenwände waren mit zahlreichen Skulpturen, Schnitzereien und Gemälden verziert. Nachdem sie einen Beichtstuhl passiert hatten, blieb der Vizekanzler vor einem dieser Bilder stehen und deutete auf die Kirchenbank.
»Bitte, nehmt Platz« begann er. »Die Kirche ist dem Schutzpatron unseres Ordens, dem Heiligen Johannes der Täufer gewidmet. Einst waren Johanniter und Malteser ein einziger großer Orden. Doch die Reformation spaltete am Ende auch den Ritter- und Hospitalorden vom Heiligen Johannes zu Jerusalem von Rhodos und von Malta. Während die einen sich weiterhin Johanniter nannten, aber den falschen Lehren Luthers nacheiferten, nannten sich die anderen, Papstreuen, fortan souveräner Malteserorden. Wir bekennen uns zur Heiligen Mutter Kirche und erkennen den Heiligen Vater in Rom in vollem Umfang an.
Als im Sommer 1607 Michelangelo Merisi maltekischen Boden betrat, war er ein gefeierter Künstler. Sein Ruhm eilte ihm lange voraus und es erfüllte uns alle mit Stolz, dass er Malta als seine Zuflucht ausgewählt hatte. Er kam auf einer Galeere seiner Mäzene, der Familie Colonna, an.
Ich war damals noch ein junger Mann, durch und durch der Wissenschaft verschrieben. Schon damals erforschte ich die antiken Stätten der Insel, immer auf der Suche nach der Wahrheit unserer Vergangenheit, unseres Glaubens. Ja, es ist wahr, es gab eine Zeit, da zweifelte ich an meiner Berufung, weil ich Gott nicht finden konnte. Doch dann erschien er, Caravaggio. Trotz seiner zweifelhaften Vergangenheit hatte er den Mut, um Aufnahme im Malteserorden zu bitten, natürlich beflügelt durch die Woge der Begeisterung, die ihm entgegenschlug. So wurde er Novize unseres Ordens und schuf dieses Bild, vor dem wir jetzt sitzen. Die Enthauptung des Johannes des Täufers. Ihr könnt gar nicht ermessen, welche Bedeutung dieses einzigartige Kunstwerk für uns alle hat.
Ich bewunderte ihn und verbrachte viel Zeit in seiner Werkstatt. Doch je länger er an diesem Bild arbeitete, desto besessener wurde er. Man konnte sein Verhalten immer feindseliger und paranoider werdend bezeichnen. Ich hatte den Eindruck, dass er an immer schlimmer werdenden Wahnvorstellungen litt. Manchmal wurde er richtig aggressiv, war aufbrausend, tobte herum, als wär’ er von allen Sinnen. Dann wieder zog er sich völlig zurück, betrank sich, streifte umher wie ein einsamer Wolf.
Wisst Ihr, einmal erzählte mir Caravaggio etwas von einem roten Drachen, den er bannen müsste. Versteht Ihr das? Wie dem auch sei: Es flößte mir Furcht ein und ich zog mich von ihm zurück. Aber dennoch schaffte er es, am 14. Juli a. d. 1608 in den Stand eines Ritters erhoben zu werden.«
Vizekanzler Abela machte eine Pause, zupfte ein Seidentuch aus dem Ärmel seines Ornats und wischte sich damit den Schweiß von der Stirn, als wolle er so schmerzhafte Erinnerungen wegwischen.
»Habt Ihr jemals daran gedacht, dass Caravaggio erkrankt sein könnte?«, erkundigte sich Matthias.
»Wie kommt Ihr darauf, Commissarius?«
»Nun, es würde zu dem passen, was wir bisher erfahren haben. Es ist durchaus möglich, dass Caravaggio an der Malerkrankheit litt.«
» Malerkrankheit? « Abela sah Matthias verwundert an.
»Wenn ich das erläutern dürfte«, ergriff Pater Theophil das Wort. »Die Malerkrankheit bezeichnet eine schleichende Bleivergiftung, die häufig bei Malern auftritt. Die verwendeten Farben sind oft bleihaltig und es werden ja auch
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