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Das Geheimnis der Rosenlinie - Esch, W: Geheimnis der Rosenlinie

Das Geheimnis der Rosenlinie - Esch, W: Geheimnis der Rosenlinie

Titel: Das Geheimnis der Rosenlinie - Esch, W: Geheimnis der Rosenlinie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Esch
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Gottesdienste wurden untersagt, ebenso wie alle anderen Zusammenkünfte. Selbst Zusammenkünfte bei Beerdigungen wurden verboten. Die allgemeine Ordnung in den Städten lag danieder. Verzweifelte zogen umher, stahlen, plünderten und raubten sogar Kranke völlig aus. Leichen lagen in den Straßen und Gassen, keiner wollte sie bestatten. So zwang die Obrigkeit Unehrliche wie Straßenfeger, Schweinehirten und Spielleute dazu, die Toten zu beseitigen. Und dazu wurden auch wir Juden gedrängt, sie mussten die Leichname bergen und in Massengräbern beisetzen. Und hier nun beginnt die eigentliche Geschichte.
    Gerade als Aaron Trachmann die erste Schriftrolle öffnen wollte, trat eine junge Frau ein.
    »Verzeiht, Herr Vater, aber Mutter lässt Euch ausrichten, dass das Nachtmahl gereicht werden kann«, antwortete die junge Frau schüchtern zu Boden blickend.
    »Gut, Deiche. Dann geleite unseren Gast zu seiner Kammer und hilf ihm bei der Waschung«, befahl Aaron. »So werde ich nach dem Mahl aus den Rollen vorlesen« und wandte sich an Matthias. »Würdet Ihr meiner Tochter zur Waschung folgen? Bei uns ist es gute Sitte, sich vor dem Mahl zu waschen.«
    »Aber gern, doch Eure Tochter braucht mir nicht dienlich zu sein«, wollte Matthias Aarons Angebot, dass Deiche ihm beim Waschen behilflich war, höflich ablehnen.
    »Ich muss darauf bestehen, ehrenwerter Commissarius. Die Sitte verlangt, dass eine Frau des Hauses den Gast wäscht.«
    Lächelnd, doch unnachgiebig, forderte Aaron Trachmann Matthias auf. Dieser wollte sich daraufhin in seine Kammer begeben.
    »Ihr müsst nicht gehen, das geschieht hier«, erklärte der Alte. Als Matthias darauf begann, sein Wams zu öffnen, kicherte Deiche verstohlen.
    »Was ist?«, fragte Matthias irritiert.
    »Verzeiht, edler Herr. Aber Ihr dürft Euch mir gegenüber nicht entblößen, das geziemt sich nicht!«
    »Aber wie soll ich mich denn sonst waschen?«
    Wieder kicherte die junge Frau.
    »Nur die Stiefel! Man wäscht dem Gast die Füße und die Hände«, erklärte Deiche dann.
    »Welch merkwürdige Sitten«, kommentierte Matthias kopfschüttelnd, fügte sich aber.
    Zahlreiche Kerzen brannten im Herrenzimmer, als die Männer vom Abendessen zurückkehrten. Im Kamin prasselte ein wärmendes Feuer, denn der Juniabend war ungewöhnlich kühl.
    Aaron Trachmann begab sich wieder mit seinem Gast und seinen Söhnen zurück in die Tiefen einer fernen Vergangenheit.
    Die Nacht zum 24. August 1349 nach christlicher Zeitrechnung, dem Jahr 5098 des jüdischen Kalenders, wird niemand in unserer Familie je wieder vergessen. Dies war die Nacht auf den Tag, an dem die Christenheit Bartholomäus verehrt. Dieser Heilige war Bar Tholmai, Sohn des Tholmai, des Furchenziehers und ein Jünger Jesu.
    Diese Nacht nun ging in die Geschichte als Judenschlacht ein. In so vielen Städten in den teutschen Landen hatte man die Juden vertrieben und geschlagen, gar ermordet.
    Eine schreckliche Nacht, viele Mitglieder unserer Familie fanden den Tod, und doch war es auch eine glückselige Nacht, zumindest für unsere Anverwandten aus Cölln. Allda explicit ein Christenmensch zu ihrer Rettung beitragen sollte. Und folgendes geschah.
    Seit Wochen wütete die Pest beinahe überall in Teutschland und forderte grausamen Tribut. Selbst umsichtige Ärzte wurden vom Schwarzen Tod befallen, trotz aller Vorkehrungen starben auch sie an der schrecklichen Seuche.
    Wer glaubt, dass wir Juden davon gekommen sind, der irrt. Denn auch viele der Unseren steckten sich an, da sie zur Beseitigung der Leichenberge, die sich in den Straßen und Gassen auftürmten, gepresst wurden.
    Gerüchte verbreiteten sich allerorten, dass wir Juden mit Satan im Bunde stünden und die Brunnen mit grässlicher Pestilenz vergifteten. Wir würden uns nicht anstecken, da wir eigene Brunnen benutzten, die sauber und rein waren, den Christen nicht zugänglich. Schon seit jeher hätten wir Juden mit dem Bösen Bündnis gepflegt, hätten wir doch ihrer Ansicht nach den Gottesmord zu verantworten. Denn es waren Juden, die den Sohn eines Zimmermanns an die Römer auslieferten.
    Darum forderten die Christen seit jener Zeit, dass man unser Volk dafür bestrafen und aus den Städten jagen solle, damit die Christen das saubere Wasser aus unseren Brunnen trinken könnten. Und wer nicht gehen wolle, den solle der Tod ereilen, der solle im ewigen Feuer der Verdammnis brennen.
    Dabei haben wir es allein unserem Glauben zu verdanken, dass viele von uns von der Pest verschont

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