Das Geheimnis der schönen Catherine
wiedergewonnen hätte.«
»Und was ist aus ihm geworden?« fragte Catherine mit zitternder Stimme. Der ältliche Mann zog eine Grimasse. »Ich habe den armen Kerl nie wieder gesehen.«
»Aber hat ihm denn nicht irgendeiner seiner Freunde geschrieben?« Catherine war entsetzt. Sir William zuckte mit den Schultern. »Niemand wusste, wo er hingefahren war. Wohin hätten wir schreiben sollen? Seine Mutter starb bald darauf, und seine Schwester heiratete einen Schotten – sie ist irgendwohin nach Schottland gezogen. Auch die Schwester habe ich nie wieder gesehen.« Kummervoll sah er Catherine an. »Eine verflixt unangenehme Geschichte. Tut mir Leid, dass ausgerechnet ich sie Ihnen erzählen musste.«
»Was geschah mit Singleton?« fragte Hugo. Zwar konnte er es sich in etwa vorstellen, aber er wollte es genau wissen. »Nun, wir entschieden, dass es für die Familie Singleton das Beste wäre, wenn wir alles unter den Teppich kehrten. Außer den Singletons erfuhr niemand von der Sache. Jimmy verpflichtete sich, ins Exil zu gehen, wenn wir ihm regelmäßig eine bestimmte Summe zukommen ließen.« Das Gnadenbrot, dachte Catherine bitter. Noch ein Schleier lüftete sich. Wie typisch, dass ihr Vater abfällig von etwas sprach, wofür er dankbar hätte sein müssen. So viel Nachsicht hatte er nicht verdient. »Sein Vater entschied, dass es das Beste wäre, wenn man bekannt gäbe, dass er auf der Kavalierstour durch Italien verschieden wäre. Daher kam nach einigen Monaten die Nachricht aus Italien, dass er gestorben sei. Und das war’s dann. Bis eine hübsche junge Dame in London eintraf und wir feststellen mussten, dass der Stammbaum der Singletons eine neue Knospe hervorgebracht hatte«, schloss Sir William galant. Diese unerwartete Freundlichkeit überraschte Catherine. Sie war auf Missbilligung, auf Verlegenheit und Abneigung gefasst gewesen. Aber dieses schwerfällige, sanfte Kompliment eines Mannes, dem sowohl ihr Vater als auch sie unrecht getan hatten, ließ ihr die Schamröte in die Wangen steigen. Eine Knospe? Eine Knospe an einem kranken Ast, dachte sie bitter. Sie gehörte zu einem Zweig der Familie, der längst abgehauen und verbrannt gehört hätte. Sie war um keinen Deut besser als ihr Vater, dazu waren sie sich viel zu ähnlich. Er hatte gelogen und betrogen. Er hatte seine Freunde getäuscht und seiner Familie Kummer bereitet.
Catherine hatte genau dasselbe getan – manches in Unkenntnis der Tatsachen, aber das stand hier nicht zur Debatte. Sie war eine Lügnerin und eine Diebin. Zum Beweis stand oben in ihrem Zimmer eine Truhe mit sechs Fächern, von denen fünf bereits gefüllt waren. Fünf Fächer, nicht nur vier. Ihr wurde schlecht. Sie hatte Sir Williams kostbares Schachspiel mit den Figuren aus Ebenholz und Elfenbein bereits gestohlen. Mit bebender Stimme fragte sie: »Aber warum hassen Sie mich nicht? Ich bin die Tochter meines Vaters.« Ihre Augen wurden größer, als ihr etwas anderes einfiel. »Sie wussten es die ganze Zeit! Und dennoch haben Sie mich in Ihr Haus eingeladen. Wie konnten Sie das nur tun, nach allem, was mein Vater Ihnen angetan hat?« Sir William lächelte sie milde an. »Ich habe noch nie an dieses Gerede von den Sünden der Väter geglaubt. Ihr Vater hat getan, was er getan hat. Das alles ist vor Ihrer Geburt passiert. Nein, Miss Catherine, ich mochte Sie auf Anhieb. Und vergessen Sie nicht – Sie sind zwar Jimmys Tochter, aber Sie sind auch Roses Nichte.« Er beugte sich vor und tätschelte ihr die Schulter. »Nehmen Sie es nicht zu schwer, Miss Catherine. Schwarze Schafe gibt es in jeder Familie. Aus welcher Familie Sie kommen, ist belanglos; wichtig ist nur, was für ein Mensch Sie selbst sind. Sie treffen Ihre eigenen Entscheidungen.« Catherine spürte, wie ihr Herz sich vor Kummer zusammenzog. Ja, sie hatte eine Wahl getroffen, das stimmte: Wie ihr Vater hatte sie den Pfad ins Verderben gewählt. Vielleicht lag es eben doch am Blut. Sie erhob sich. »Vielen Dank, Sir, dass Sie mir alles erzählt haben«, sagte sie mit leiser Stimme. »Ich … ich glaube, ich werde mich jetzt zurückziehen. Würden Sie mich bitte bei Lady Marsden entschuldigen? Ich weiß, ich habe ihr noch nicht Gute Nacht gewünscht, aber …« Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie musste sich abwenden.
Sir William und Hugo Devenish standen auf. Catherine brachte es nicht fertig, ihnen ins Gesicht zu sehen. Vor allem Hugo konnte sie jetzt nicht anblicken. Im Gegensatz zu Sir William wusste er, was
Weitere Kostenlose Bücher