Das Geheimnis der schönen Catherine
wäre tot. Und trotzdem hat sie nicht geheiratet.« Zweiundzwanzig Jahre. Rose und Mr. Cranmore hatten auch im Exil leben müssen. Ihr Vater hatte das Leben so vieler Menschen zerstört …
Sie wandte den Kopf ab. Hugo sah sie so besorgt und ängstlich an, dass ihr fast das Herz brach. Und ihr Vater hatte auch ihr Leben zerstört. Nein – sie durfte ihm nicht die Schuld daran geben. Sie selbst hatte es zerstört. Im Innersten hatte sie immer gewusst, dass das, was sie tat, falsch war. Sie hatte sich so angestrengt und so viel riskiert, sie hatte so vielen Menschen etwas vorgespielt, nur um sich der Liebe ihres Vaters würdig zu erweisen. Diese Opfer war er nicht wert – war es nie wert gewesen. Aber sie ebenso wenig. Sie hatte sich als echte Tochter ihres Vaters erwiesen. Sogar als sie vor der Wahl stand, hatte sie sich für das Falsche entschieden. Sie hatte weder Liebe noch Respekt verdient. Sie war eine Lügnerin, eine Betrügerin, eine Diebin. Ein Mensch, der Dinge tat wie sie, selbst aus Liebe, hatte keinen Respekt verdient. Und Liebe erst recht nicht. Catherine stand auf und ging zur Tür des Pavillons. Der Rosenduft machte sie richtig krank. Die Rosen verhöhnten sie – in ihrem Leben war kein Platz mehr für Schönheit. »Danke, dass Sie mir das gesagt haben, Mr. Devenish«, sagte sie förmlich. »Ich werde mich jetzt auf mein Zimmer zurückziehen.« Mr. Cranmore blieb zum Abendessen. Catherine konnte kaum glauben, wie sehr sich sein Aussehen seit dem Morgen verändert hatte. In ein paar Stunden waren Jahre aus seinem Gesicht verschwunden. Und was Tante Rose betraf – sie schien von innen heraus zu leuchten. Sie aß fast nichts, saß nur da und konnte kaum die Augen von Donald Cranmore abwenden, der immer wieder glücklich zu ihr blickte. Catherine machte das fast verlegen, nur – wie konnte einen ein so überwältigendes Glück verlegen machen? Donald Cranmore zog sie alle mit Geschichten über seine Abenteuer in Bann. Wie sich herausstellte, hatte er die letzten zweiundzwanzig Jahre in Afghanistan verbracht. Er hatte dem Schah von Kandahar gedient, der ihm das Leben gerettet und im Gegenzug dafür seine Dienste in Anspruch genommen hatte. »Für mich war es am Ende gar kein schlechtes Geschäft, daher will ich mich nicht beklagen. Aber natürlich konnte ich deswegen nicht nach Hause zurückkehren«, erklärte er. »Und warum durften Sie jetzt gehen, nach all der Zeit?« fragte Catherine neugierig. »Und dass Sie ausgerechnet heute zurückkehren – direkt nachdem wir von Ihnen gesprochen hatten.«
»Ihnen kommt das vielleicht plötzlich vor, Miss Catherine, aber mir ist die Rückreise sehr, sehr lang geworden.« Mr. Cranmore nahm Roses Hand und sah ihr lächelnd in die Augen. »Ich konnte Kandahar erst vor einem halben Jahr verlassen, als der alte Schah gestorben war. Und was meinen Besuch hier angeht – um die Wahrheit zu sagen, ich war schon vor ein paar Wochen in Gelliford House, aber George Singleton hat mich wieder nach London geschickt.«
»Sie waren in Gelliford House? Dachten Sie, mein Vater lebt immer noch dort?« fragte Catherine verblüfft. »Damals vor über zwanzig Jahren war Gelliford House auch mein Zuhause, Catherine«, erinnerte Rose sie lächelnd. Die junge Frau errötete. Es fiel ihr schwer, sich den Gedanken an Rache aus dem Kopf zu schlagen. Ein Blick in Roses Gesicht hätte allerdings genügen müssen.
Mr. Cranmore nickte. »Als ich hörte, dass meine Rose nie geheiratet hat, bin ich geradewegs nach Gelliford House gefahren.« Sir William schnippte mit den Fingern. »Natürlich! Der Ausländer! George konnte sich doch nicht an seinen Namen erinnern!«
»Sie waren das also?« fragte Catherine. Mr. Cranmore nickte. »Ich bin mittlerweile ganz schön oft zwischen London und hier hin und her gefahren, aber ich will mich nicht beklagen. Ich bin froh, dass ich schließlich hier gelandet bin. Und hier bleiben wir auch, damit Rose in der Nähe ihrer Familie und ihrer Freunde sein kann.« Rose errötete entzückt. Catherine blieb der Mund offen stehen. Sie hatte Rose noch nie so … mädchenhaft erlebt. Und so glücklich. »Sie meinen …?« Mr. Cranmore zögerte, warf Rose dann einen Blick zu, erhob sich und verkündete mit schlichtem Stolz: »Heute Nachmittag hat Miss Rose Singleton mir – zum zweiten Mal – die Ehre erwiesen, meinen Heiratsantrag anzunehmen. Wir werden in der Kapelle von Gelliford House heiraten, sobald das Aufgebot bestellt ist.« Er hauchte einen Kuss auf
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