Das Geheimnis der Totenmagd
als der ihm die Gemme übergeben hat, die Eurer Schwester gehört hat. Er wollte sie dem Pfarrer geben, doch dazu ist es dann ja nicht mehr gekommen. Jedenfalls, mein Vater hat die Brosche nicht gestohlen, und er hat auch Eure Schwester nicht ermordet. Diese verdammten Schwarzkutten waren es! Aber wie soll man die denn ausfindig machen? Die laufen ja nicht am helllichten Tag in ihrem Mummenschanz in der Stadt herum. – Je mehr ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich mir, dass es zwischen diesen Reigentänzern und dem Tod Eurer Schwester irgendeinen Zusammenhang geben muss.«
Anna erwiderte mit tonloser Stimme: »Meine Schwester war schwer gemütskrank, müsst Ihr wissen. Sie ist kaum noch aus dem Hause gegangen und hat die meiste Zeit unter der Obhut ihres Krankentrösters in ihrem Zimmer zugebracht. Nur mit ein paar merkwürdigen, dunkel gewandeten Leuten hat sie sich hin und wieder zum Gebet getroffen. An die habe ich auch sofort denken müssen, als Ihr von den Vermummten erzählt habt.«
»Wo sie doch auch selbst eine solche Kutte trug, als mein Vater sie im Beinhaus gefunden hat. Hier laufen die Fäden zusammen, das habe ich von Anfang an geahnt!«, rief die Totenmagd aus, schlug vor Erregung mit der flachen Hand auf die Tischplatte und blickte Anna eindringlich an. »Das ist jetzt ganz wichtig, Jungfer Stockarin: Kennt Ihr jemand aus diesem seltsamen Gebetskreis?«
»Im Grunde genommen eigentlich nur den Pater, der ihn geleitet hat«, murmelte Anna mit bestürzter Miene. »Ich habe die Gruppe auch nur ein einziges Mal gesehen. Das war letztes Jahr im Winter, da bin ich die Sandgasse entlanggelaufen, und da standen sie vor einem Haus, meine Schwester, Pater Kilian und noch vier andere Leute. Es hatte den Anschein, als wollten sie dort gerade eintreten. Ich könnte allerdings nicht mehr genau sagen, welches Haus das war, die Sandgasse ist ja sehr lang. Und die Häusergiebel berühren sich fast über der Gasse, deswegen ist es dort auch immer so dunkel. Ich konnte nicht viel erkennen von den Leuten, weil sie alle ihre Kapuzen so tief ins Gesicht gezogen hatten und es bereits dämmerte. Meiner Schwester schien es unangenehm zu sein, dass wir aufeinandergetroffen waren, und ich bin dann auch rasch weitergegangen. Aber einer der Schwarzkutten ist mir aufgefallen, weil er so groß war. Der überragte alle anderen, selbst den hochgewachsenen Pater, um ein bis zwei Haupteslängen. Nur sehr schemenhaft habe ich seine untere Gesichtshälfte unter der weiten Kapuze sehen können, es war ein sehr markantes Gesicht mit einer großen, leicht nach unten gebogenen Nase und einem kräftigen rasierten Kinn«, redete Anna nachdenklich wie zu sich selbst. »Der Mann ist mir sogar irgendwie bekannt vorgekommen, aber ich weiß bis heute nicht, um wen es sich handelte.«
»Dann solltet Ihr doch unbedingt einmal den Seelsorger Eurer verstorbenen Schwester fragen«, erklärte Katharina Bacher entschieden. »Der kann Euch das doch sicherlich sagen, wer alles zu diesem seltsamen Gebetskreis gehörte. Und überhaupt: Mir kommt das komisch vor! Mit diesem Krankentröster könnte auch irgendwas faul sein.«
»Da rennt Ihr bei mir offene Türen ein, Bacherin. Ich muss zugeben, dass ich Pater Kilian von Anfang an nicht gemocht habe. Er hat keinen guten Einfluss auf meine Schwester ausgeübt, und ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass er etwas mit Mechthilds Tod zu tun hat!«, schnaubte Anna aufgebracht. »Der feine Herr hat sich auch gleich aus dem Staub gemacht, nachdem das mit Mechthild passiert war. Und vorher hat er sich aufgeführt wie ein trauernder Witwer! Er sei untröstlich über Mechthilds Tod, hat er gesagt, er benötige Abgeschiedenheit, um sich seiner tiefen Trauer hingeben zu können. Gleich am nächsten Tag ist er dann zur Burg Hattstein aufgebrochen, den Stammsitz seiner Familie im abgelegenen Taunuswald. Und seitdem hat er sich nicht mehr blicken lassen, der feine Herr Krankentröster!«
Während sie über den Pater sprach, war die ansonsten eher ausgeglichen und beherrscht wirkende Anna immer wütender geworden. »Genau dorthin werde ich mich gleich morgen früh begeben, um dem Pater einige Fragen zu stellen. Dem werde ich heimleuchten, dem scheinheiligen Kerl! Ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist: Wenn der wirklich hinter Mechthilds Tod steckt, wird er dafür büßen!«
»Bitte, Jungfer Stockarin, nehmt mich doch mit!«, bat inständig die Totenmagd, die nicht minder aufgeregt schien. »Ihr
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