Das Geheimnis des Felskojoten (German Edition)
der Wald begann. Einige niedrige Büsche wuchsen unter den Kiefern.
»Ich war dort drüben«, Serena deutete auf die Büsche. »Dann bin ich hier entlang zu euch zurückgegangen. Und hier«, sie deutete auf eine der Kiefern, »hier sind die Bärenhaare.«
Shane trat näher und besah sich die Äste sorgfältig. Aber er konnte beim besten Willen keine Haare oder Fellfetzen eines Bären entdecken.
»Siehst du es denn nicht?«, fragte Serena aufgeregt. »Gleich hier.« Sie deutete auf ein hellbraunes, haariges Etwas, das an einem Ast hing.
»Das?«, fragte Shane verdutzt. Dann brach er in schallendes Gelächter aus.
»Was ist denn daran so lustig?« Serena war gekränkt.
»Reena, das ist doch kein Bärenhaar«, brachte Shane mühselig hervor und versuchte verzweifelt, das Lachen zu unterdrücken. »Das ist eine Flechte.«
»Eine Flechte ?«, wiederholte Serena verwirrt.
»Ja, eine Art Baumflechte«, gluckste Shane amüsiert. »Die wachsen hier überall. Sieh dir doch mal die anderen Zweige an und die anderen Bäume. Das Zeug hängt überall.« Er lachte noch immer. »Bärenhaare«, setzte er hinzu. »Dein Bär dürfte keinen Fetzen Fell mehr auf dem Buckel haben, wenn dies hier alles Bärenhaare sind. Und ist dir schon mal aufgefallen, wie hoch im Baum die Bärenhaare hängen? Da kommt kein normalwüchsiger Bär an.«
»Deshalb war ich ja so beunruhigt«, sagte Serena kleinlaut und etwas enttäuscht. Hier draußen in der Wildnis konnte sie wohl gar nichts richtig machen. »Ich dachte, es sei ein riesiger Bär – ganz in unserer Nähe. Womöglich ein Grizzly.«
»Ein Grizzly«, lachte Shane. »Bevor du im Wald auch nur ein Stückchen von so einem Kerl zu sehen bekommst, wirst du ihn riechen.«
Er legte freundschaftlich den Arm um ihre Schulter.
»Komm, lass uns nachsehen, was Duke uns an Proviant eingepackt hat. Ich bin am Verhungern.«
Etwas später saßen sie an dem schmalen Gebirgsbach, und Serena ließ ihre nackten Füße im eiskalten Wasser baumeln.
»Wer um alles in der Welt hat diese Zusammenstellung erfunden?« Argwöhnisch besah sie sich das Sandwich, das Shane ihr reichte. »Erdnussbutter und Marmelade auf weißem Toastbrot?«
»Ganze Generationen nordamerikanischer Kinder sind mit diesem Zeug groß geworden«, stellte Shane belustigt fest. »Man sagt uns immer wieder, wie ausgewogen die Nährstoffkombination in einem solchen Sandwich ist.«
»Jetzt wird mir einiges klar«, entgegnete Serena schwach. Sie biss ein großes Stück ab und sagte mit vollem Mund: »Haben wir noch anderen Proviant, oder ist dies alles?«
»Ich habe nichts anderes gefunden«, erklärte Shane und versuchte, ernst zu bleiben. Er musste dann aber doch grinsen, Serenas entgeisterter Gesichtsausdruck war einfach zu herrlich.
»Dann faste ich vielleicht lieber, bis wir zurück sind«, murmelte sie.
Hoch über ihnen zog ein großer schwarzer Vogel anmutige Kreise über der Bergwiese. Ab und zu ließ er seinen einsamen Schrei ertönen.
Serena legte sich auf den Rücken und beobachtete das Tier.
»Was ist das für ein Vogel?«, fragte sie fasziniert und griff nach ihrer Kamera.
»Das ist ein Rabe«, erklärte Shane. »Du kannst es an den Lauten erkennen, die er ausstößt. Es ist mehr ein Krächzen, nicht der helle, durchdringende Schrei eines Rotschwanzbussards beispielsweise. Und mit ein bisschen Übung kann man die verschiedenen Vögel im Flug auch an der Form der Schwanzfedern und an den Schwingen erkennen.«
»Von hier unten aus?«
Shane nickte.
Serena setzte sich auf.
»Du weißt so viel über Pferde und wilde Tiere und Pflanzen – über die Wildnis an sich«, seufzte sie. »Ich komme mir vor wie ein Kleinkind, das nichts weiß und nichts kann.«
»Ich weiß viel über diese Dinge, weil ich mit ihnen aufgewachsen bin«, sagte Shane. »Das ist alles. Mein Volk hat Tausende von Jahren in der Wildnis gelebt. Da muss man sich mit den Pflanzen und Tieren gut auskennen, sonst überlebt man nicht lange. Und was Pferde anbelangt, sie sind seit langer Zeit ein fester Bestandteil unserer Kultur.«
Er legte seine Hand auf ihren Arm und sah sie ermutigend an. »Warte es nur ab, wenn du erst ein bisschen mehr Routine entwickelt hast und besser verstehst, was das Pferd dir sagen will, dann wird dir das Reiten viel Spaß machen.«
Serena sah ihn zweifelnd an.
»Ich weiß nicht. Ich kann Lightning nicht dazu bringen, auch nur irgendetwas von dem zu tun, was ich von ihm will. Ich bin froh, dass wir zu zweit unterwegs sind.
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