Das Geheimnis von Islay Island
großherziger Vergebung. Sie wand sich aus meinen Armen, um zu Boden zu springen und zu mir aufzublicken, während sie sich mit der feuchten rosa Zunge betont über ihr Mäulchen leckte. Emotionale Erpressung.
Der ich nicht widerstand. Bevor ich zum Haus hinüberging, um über Sir Thomas’ Abendessen zu wachen, setzte ich ihr einen Teller mit dem Besten vor, was mein Dosenvorrat zu bieten hatte. Das würde hoffentlich dafür sorgen, dass sie sich nach dem Essen ein Nickerchen gönnte. Und nur für den Fall, dass diese Rechnung aus irgendeinem Grunde nicht aufging, schloss ich vorsichtshalber sämtliche Fenster und verriegelte die Tür. Heute würde es zur Abendessenszeit keinen Überfall auf die Küche geben.
Von Waddington wusste ich, dass zu den Angestellten ein Hausmädchen zählte, dessen Aufgabe es war, das Esszimmer so vorzubereiten, dass ich nur noch letzte Hand anlegen musste. Als ich eintraf, brannte das Holzfeuer im Kamin, war ein frisches Tischtuch aufgelegt und eine Reihe von Sir Thomas’ bevorzugten Weinen auf der Anrichte bereitgestellt. Ich streifte mir die erforderlichen weißen Handschuhe über und platzierte auf dem gestärkten weißen Damast Teller und Besteck, Gläser und Servietten sowie zum Schluss in genau dem richtigen Abstand einen silbernen Kandelaber.
Ich konnte es mir nicht leisten, irgendetwas falsch zu machen. Nach allem, was ich bis jetzt von Sir Thomas zu sehen bekommen hatte, war er zweifellos ein anspruchsvoller Arbeitgeber. Angesichts seiner Vorurteile gegen Butler weiblichen Geschlechts würde er keine Übertretung der Berufsetikette tolerieren. Ich trat zurück, um mein Werk zu inspizieren. War das Besteck perfekt ausgerichtet und einen Daumen breit von der Tischkante entfernt? Ich trat noch einmal vor und zog ein Messer ein winziges Stück näher heran. Dann stocherte ich ein wenig mit dem Schürhaken zwischen den Scheiten, und schon züngelten die Flammen in die Esse. Nachdem ich die Lampen gedimmt hatte, um eine behagliche Atmosphäre zu schaffen, nahm ich meinen Platz bei der Anrichte ein.
Das Abendessen war für neunzehn Uhr anberaumt, auch wenn ich mich fragte, wie sich Gorgonzolas Diebstahl auf den Zeitplan des Kochs ausgewirkt haben mochte. Hatte er sich vielleicht sogar zu einer Änderung im Menü genötigt gesehen? Auf meinem Weg zum Haus hatte ich der Küche keinen erneuten Besuch abgestattet, um mich danach zu erkundigen, denn es erschien mir klüger, die Bekanntschaft mit le chef nicht aufzufrischen, solange er noch kochte.
Während ich auf die Meldung wartete, das Essen sei bereit, hatte ich ein wenig Zeit, nachzudenken. Gerry war davon überzeugt gewesen, dass Moran Gabrielle in Kürze nachfolgen würde. In der Akte, die er mir gegeben hatte, befand sich auch eines der seltenen Fotos, das von einer Überwachungskamera in Südamerika stammte. Natürlich war es aus einiger Distanz entstanden und bei trübem Licht. Das Bild war infolgedessen verschwommen und von schlechter Qualität, aber wir hatten nun mal nichts Besseres. Zu erkennen war ein langes Gesicht mit dünnen Lippen und dunkelbraunem Haar, das sich am Ansatz stark lichtete. Die hohe Stirn war leicht wiederzuerkennen. Ich hatte mir dieses Gesicht eingeprägt, doch es war fraglich, ob es nur zu den vielen Masken gehörte, mit denen er den Behörden immer wieder entwischt war. Fest stand bislang nur, dass er braune Augen hatte.
Aber egal, ob er sein Erscheinungsbild ständig änderte: Gabrielle zeichnete sich nicht eben durch besondere Zurückhaltung aus, und so war ich zuversichtlich, dass ihr Verhalten sein bevorstehendes Kommen so eindeutig ankündigen würde wie ein Jagdhund einen abgeschossenen Vogel. Nach Gerrys warnenden Worten war ich allerdings nicht darauf erpicht, seine Bekanntschaft zu machen. Wenn es so weit war, musste ich auf der Hut sein …
Das Haustelefon auf der Anrichte summte. Eine männliche Stimme mit starkem schottischem Akzent einschließlich gerolltem R ließ mich wissen, es könne angerichtet werden.
»Danke, Chef .« Ich legte auf und begab mich in die Diele, um meine Butler-Nummer am Gong abzuziehen.
Dong … nngg … nngg … Die Eichenvertäfelung wirkte als Klangverstärker, so dass die tiefere Note in die Länge gezogen wurde und die Treppe hinauf bis in den Flur im Obergeschoss hallte. Als Erster folgte Waddington, gekleidet in Smoking und Fliege, der Aufforderung.
»’n Abend, Dorward. Widerwärtig, die Sache mit der wilden Katze. Ein Tellereisen oder eine
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