Das Geheimnis von Orcas Island
Du hast ein hitziges Temperament, das selten mit dir durchgeht. Du bist ein ausgezeichneter Tischler, der einen angefangenen Job gern zu Ende führt. Du kannst sehr galant zu netten alten Damen sein.« Sie lachte ein wenig und hielt das Gesicht gegen den Wind. »Du trinkst den Kaffee schwarz, du schreckst nicht vor harter Arbeit zurück … und du bist ein wundervoller Liebhaber.«
»Und das reicht dir?«
Sie hob die Schultern. »Ich glaube nicht, dass du viel mehr von mir weißt. Ich sterbe vor Hunger«, sagte sie abrupt. »Willst du nicht essen?«
»Such einen Platz aus.«
»Fahr dort hinüber. Siehst du den kleinen Landvorsprung da drüben? Da können wir ankern.«
Der Landvorsprung bestand aus einem schmalen Streifen Sand. Dahinter erhoben sich große glatte Felsen, die dicht mit Pinien bewachsen waren. Charity breitete die Decke, die Ronald mitgebracht hatte, am Fuß der Felsen aus. Sie kniete sich darauf nieder und blickte sich um. Wenige Schritte entfernt umspülte das Wasser einen großen Stein, der glatt gewetzt war von Wind und Zeit. Ein einsames Boot kreuzte in der Ferne, mit geblähten weißen Segeln.
Charity öffnete den Korb, erblickte eine Flasche Champagner und holte sie mit hochgezogenen Augenbrauen hervor. »Oh, das scheint ja ein tolles Picknick zu werden.«
»Mae hat gesagt, dass du das französische Zeug magst.«
»Das stimmt. Aber ich habe noch nie Champagner bei einem Picknick getrunken.«
»Dann wird es Zeit.« Ronald nahm die Flasche, ging zum Wasser und steckte sie in den feuchten Sand. »Wir lassen sie noch ein bisschen kühlen.« Er kehrte zurück und nahm Charitys Hand, bevor sie den Korb weiter erforschen konnte. Er kniete sich nieder, zog sie an sich und schloss den Mund über ihrem.
Ihr stockte der Atem, als er den Kuss vertiefte. Sie schlang die Arme um ihn, ließ dann die Hände hinaufgleiten und umfasste seine Schultern. Verlangen erwachte wie eine Flutwelle, schwoll rasch an, zog sie mit sich.
Er brauchte es, sie so festzuhalten, die Hitze der Leidenschaft mit ihren Lippen zu schmecken, ihr Herz an seinem klopfen zu spüren. Seine Hände wühlten in ihrem Haar, während er sie wild und heftig küsste.
Es war eine Unruhe in ihm, ein Zorn, den sie nicht verstand. Sie reagierte auf beides, presste sich an ihn, bot ihm ohne Zögern, was immer er brauchte. Vielleicht war es genug. Allmählich wurde sein Mund sanfter. Dann hielt er sie nur noch fest.
»Das ist eine sehr nette Art, ein Picknick zu beginnen«, brachte Charity hervor, als sie ihre Stimme wiederfand.
»Ich kann anscheinend nicht genug von dir bekommen.«
»Das ist mir recht.«
Ronald umrahmte ihr Gesicht mit den Händen. Ihre Augen wirkten ruhig und verständnisvoll. Es wäre besser, dachte er, und gewiss sicherer, sie einfach die Sandwiches herausholen zu lassen. Sie könnten über das Wetter reden, über das Wasser und die Leute im Gasthaus. Es gab so vieles, das er ihr nicht sagen konnte. Aber als er ihr in die Augen blickte, erkannte er, dass er ihr genügend über sich erzählen musste, damit sie eine Wahl treffen konnte. »Setz dich«, sagte er.
Etwas in seinem Ton beunruhigte sie. Er will mir sagen, dass er fortgeht, dachte sie. »In Ordnung.« Sie verschlang die Hände miteinander und schwor sich, einen Weg zu finden, ihn zum Bleiben zu veranlassen.
»Ich war nicht fair zu dir.« Ronald lehnte sich zurück an einen Felsen. »Es gibt da gewisse Dinge über mich, die du wissen solltest, die du hättest wissen sollen, bevor es zwischen uns so weit gekommen ist.«
»Ronald …«
»Es wird nicht lange dauern. Ich komme aus St. Louis. Ich bin in einem Viertel aufgewachsen, das du nicht einmal annähernd begreifen würdest. Rauschgift, Zuhälter, Nutten.« Er blickte hinaus auf das Wasser. Das Segelboot hatte Fahrt aufgenommen. »Ein riesiger Unterschied zu diesem Ort, Baby.«
Also, er fasst Vertrauen, dachte Charity. Sie wollte dafür sorgen, dass er es nicht bereute. »Es ist nicht wichtig, woher du kommst, sondern wo du jetzt bist.«
»Das stimmt nicht ganz. Ein Teil der Herkunft bleibt hängen.« Er drückte flüchtig ihre Hand, ließ sie dann los. »Wenn mein Vater nüchtern genug war, fuhr er Taxi. Wenn er nicht nüchtern genug war, hockte er in der Wohnung herum. Eine meiner ersten Erinnerungen ist, dass ich nachts aufwachte, weil meine Mutter ihn anschrie. Alle paar Monate drohte sie, ihn zu verlassen. Dann riss er sich zusammen, bis es ihn wieder überkam. Also hörte sie schließlich auf, ihm
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