Das Geheimnis von Summerstone - Die furchtlosen Vier
Schuhe suchen. Kann ich mich darauf verlassen, dass ihr beide die Stinksteine und den Pilz holt?«
»Ich kann mich selbst nicht auf mich verlassen«, sagte Theo aufrichtig. »Höchstens, wenn es um eine Sicherheitsübung geht, aber sogar die könnte ich noch vermasseln.«
»Das schaffen wir«, sagte Lulu zuversichtlich und zog Theo in Richtung Bibliothek.
In der Bibliothek der stinkenden Lebensmittel fanden sie sich leicht zurecht, denn das gesuchte Glas stand allein auf dem Bronze-Regal. Gegen besseres Wissen war Theo bereit, auf die an der Wand befestigte Leiter zu klettern, um die Steine zu holen. Er hangelte sich an der Wand entlang und kam dem kleinen Gefäß immer näher. Es war nur dreimal so hoch wie ein Fingerhut. Natürlich musste Theo alle paar Sekunden innehalten, eine Pause einlegen und Lulu ängstliche Blicke zuwerfen.
»Hör bitte damit auf? Du fällst schon nicht runter!«
»Woher weißt du das? Ich muss mindestens sechzehn Meter vom Boden weg sein. Ich könnte ganz leicht ausrutschen und herunterfallen.«
»Also, es sind wohl eher drei Meter, und wenn du solche Höhenangst hast, dann gebe ich dir einen guten Tipp: Hör auf, nach unten zu schauen!«
»Schrei mich nicht an. Das ist schon stressig genug. Ich fühle mich hier oben wie ein Fluglotse!«
»Theo, ich habe kaum geschlafen. Bist du ganz sicher, dass du gerade heute meine Geduld auf die Probe stellen willst?«
»Das ist Ausdruck meines Mitgefühls, Lulu.«
Inzwischen war Theo auf Armeslänge an das Miniaturglas herangekommen, schloss die Augen und lehnte sich nach rechts. Er tastete ein paar Sekunden herum, dann erwischten seine Wurstfinger das Gefäß. Er beugte sich rasch nach hinten, hielt sich besser an der Leiter fest und öffnete die Augen. Das Glas war dicht mit kleinen, unregelmäßigen, gelben Steinchen gefüllt.
»Lass es nicht fallen, Mrs Wellington hat gesagt, die Steine seien das Stinkendste in der ganzen Bibliothek.«
»Würdest du einem Fluglotsen sagen, er solle keinen Mist bauen, weil das Schicksal von Millionen in seinen Händen liegt? Nein, denn du würdest ihn nicht noch nervöser machen wollen, als er schon ist, besonders, wenn er bei Nervosität feuchte Hände kriegt.«
»Aha, nur damit ich es weiß, du bist also der Fluglotse mit den feuchten Händen?«, zischte Lulu gereizt.
Theo stöhnte vor Unmut, als er, sich mit einer Hand festhaltend, die Leiter hinunterkletterte.
»Ich meine es ernst, Theo, du kannst das Ding nicht fallen lassen!«, kreischte Lulu. »Ich bin schon fast gestorben, als sie das Glas mit dem Steak aufgeschraubt hat. Mir wird schlecht, wenn ich bloß daran denke!«
»Lulu Punchalower, hältst du jetzt endlich die
Klappe? Du lenkst mich ab und ich bin sowieso leicht abzulenken, falls du das noch nicht gemerkt hast«, schrie Theo zurück und kletterte wieder eine Sprosse nach unten.
Lulu schürzte die Lippen und schwieg, während Theo ächzend und schnaufend die letzte Sprosse herunterkam. Als er wieder auf dem Boden stand, lächelte er. Mission erfüllt. Etwa eine halbe Sekunde nach diesem Lächeln entglitt das Glas seinen weichen, kurzen Fingern. Lulus Gesicht verzerrte sich vor Schrecken. Sie fiel auf die Knie und hielt sich schon mal die Nase zu.
Theo öffnete den Mund, um »nein« zu schreien, aber es kam nichts heraus. Wie in vielen Filmen verging die Zeit plötzlich ganz langsam. Theo warf sich zu Boden. Er streckte den Arm so weit wie irgend möglich aus. Knapp zwei Zentimeter über dem Boden gelang es ihm, seine hohle alabasterweiße Hand unter das Glas zu schieben. Es war ein heldenhafter Moment, wie Theo fand, als er so auf dem Boden lag und das kleine, potenziell gefährliche Glas anstarrte.
»Was sind › Mandelsteine‹ ?«, fragte Theo, als er das Etikett auf dem Deckel las.
»Was?«
»Es steht ›Mandelsteine‹ darauf, wie die Dinger, die wir im Hals haben.«
»Ich muss gleich kotzen. Das ist ja ekelhaft. Das sind Essensreste, die in den Mandeln hängen bleiben und faulen.«
»Vielleicht solltest lieber du sie tragen?« Theo wedelte mit dem Glas.
»Auf keinen Fall.«
»Okay«, gab Theo nach. »Und jetzt?«
»Der Grönlandpilz.«
Theo zuckte sichtlich zurück. Etwas an der weichen, schleimigen Masse brachte seinen Magen noch mehr zum Flattern als die Mandelsteine.
»Keine Angst. Ich denke nicht im Traum daran, dir noch mal die Verantwortung zu überlassen.«
»Endlich jemand, der mich versteht.«
23
Jeder hat vor etwas Angst: Autophobie ist die Angst vor
Weitere Kostenlose Bücher