Das Geheimnis von Winterset
den Garten mit. Manchmal gingen sie bis hinunter zum Sommerhaus - es gefiel ihm gut im Sommerhaus. Aber wenn er einen angesehen hat ...
diese Augen ... " Mrs. Parmer erschauderte. „Das waren keine normalen Augen. Ich kann das gar nicht erklären, bloß in seinem Blick war etwas, das ich noch bei niemand anderem gesehen hatte und hoffentlich auch nie mehr sehen werde. Ich fand es schon schlimm genug, mich in seinen Räumen aufzuhalten, mit all den Masken und dem Gekritzel und dem ganzen Kram."
„Wie bitte?", unterbrach Reed sie. „Was für Masken und Gekritzel? Das müssen Sie mir erklären."
„Sie haben das nicht gesehen? Dann ist es wahrscheinlich nach seinem Tod alles entfernt worden ... Nun, auf jeden Fall hat Lord de Winter Masken gesammelt. Komisch aussehende Dinger aus der ganzen Welt. Manche davon sahen wie Tierköpfe aus und andere waren ganz seltsam ... irgendwelche Dämonen vielleicht. Schauerliche Dinger waren das, und sie hingen überall in den Kinderzimmern an den Wänden. Immer wenn ich dort sauber machen musste, hatte ich das Gefühl, als würden die Ungeheuer mich beobachten."
„Sie sprachen noch von Kritzeleien", erinnerte Anna die alte Frau, als diese plötzlich verstummte.
Mrs. Parmer nickte. „Manchmal, wenn er einen seiner Anfälle hatte, fing er an, auf die Wände zu schreiben. Ab und an wurde alles wieder mit frischer Farbe übermalt, aber Seine Lordschaft hat immer wieder neue Sachen geschrieben." Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe kein Wort davon verstanden -manches war nicht einmal Englisch."
Voller Schrecken musste Anna an die seltsamen Zeichen denken, die Onkel Charles benutzte. Sollte sein Wahnsinn ihn womöglich auch dazu gebracht haben, zwei Menschen umzubringen?
„Wie war Lord de Winter, bevor er seinem Wahn verfiel?", wollte Anna wissen. „Sie meinten, er sei grausam gewesen."
„Oh ja, und wie. Alles musste immer nach seinem Willen gehen, und wehe dem, der etwas in Unordnung brachte oder zu langsam war. Und es traf nicht nur uns Dienstboten. Abgesehen davon, dass sie ihm einen Sohn geboren hatte, hat Ihre Ladyschaft es ihm nie recht machen können. Ich habe manchmal gehört, wie er sie angeschrien hat ... manchmal hat er sie auch geschlagen. Aber sie und die Amme waren sehr geschickt darin, den jungen Master Charles von ihm fernzuhalten, denn ein Kind hätte vor seinen strengen Augen niemals bestehen können."
Anna erinnerte sich, dass bei ihrem Onkel ebenfalls eine ganz bestimmte Ordnung herrschen musste und dass er es nicht ertragen konnte, wenn man sie veränderte. Allerdings hatte sie niemals erlebt, dass er geschrien hätte oder gewalttätig geworden wäre, wenn einmal etwas nicht nach seinem Willen ging. Er bekam einfach nur Angst und zog sich zurück. Charles war ein von Grund auf friedlicher Mensch, und Anna glaubte, dass dies den wesentlichen Unterschied zwischen ihm und seinem Vater ausmachte.
Wenig später brachen sie und Reed auf. Anna war noch immer zutiefst erschüttert.
„Mein eigener Großvater!", meinte sie fassungslos, als sie nach Winterset zurückritten. „Kein Wunder, dass Nick mir nicht von den Morden erzählen mochte. Er kennt die Wahrheit und konnte es nicht ertragen, mir sagen zu müssen, dass mein Großvater ein Mörder war."
„Das erklärt in der Tat einiges", stimmte Reed ihr zu. „Und es ist auch nicht verwunderlich, dass die Verbrechen nie aufgeklärt wurden. Das Schweigen auf Winterset schützte Lord de Winter."
„Der Arzt muss es doch gewusst haben!", rief Anna. „Oder zumindest geahnt haben, dass Lord de Winter der Schuldige war. Er wusste schließlich, dass er wahnsinnig war und seine Familie ihn nach dem zweiten Mord weggeschlossen hatte - und dass es von da an keine weiteren Morde mehr gab."
„Ja, wahrscheinlich ist ihm das auch aufgefallen. Vielleicht hat er seine Vermutungen auf jenen Seiten niedergeschrieben, die nun in seinem Tagebuch fehlen."
Anna nickte. „Genau das denke ich auch."
„Ich würde mir gerne die Kinderzimmer einmal anschauen", bemerkte Reed. „Wir hätten doch auf Grimsley hören sollen - Lord de Winter lebte tatsächlich dort oben."
„Die arme Lady de Winter", meinte Anna kopfschüttelnd. „Stellen Sie sich nur einmal vor, mit einem solchen Ungeheuer verheiratet zu sein! Mit dem Wissen zu leben, was er getan hat - und doch hat sie ihn den Kindern zu Liebe geschützt. Sie wollte sicher nicht, dass der Makel des Wahnsinns an ihren Kindern haftete. Hätte sie ihren Mann dem Gesetz
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