Das Geheimnis von Winterset
,verrückten Morelands'. Aber sicher ... "
„Nein." Anna trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich spreche nicht von der einen oder anderen exzentrischen Tante. In der Linie der de Winters gab es in fast jeder Generation Fälle von Wahnsinn.
Kit und ich haben diese Last vererbt bekommen." Sie atmete tief durch. „Ein paar Tage bevor Sie mir den Antrag machten, hat mein Vater mich in sein Arbeitszimmer gebeten und mir die Wahrheit gesagt. Er hatte es mir ersparen wollen, doch weil er merkte, wie die Dinge zwischen uns beiden standen, bekam er auf einmal Angst. Deswegen gab ich damals vor, krank zu sein, denn ich konnte es nicht ertragen, Ihnen danach noch in die Augen zu sehen.
Als Sie dennoch kamen, wollte ich Sie fortschicken ... nie hätte ich vermutet, dass Sie an jenem Tag um meine Hand anhalten würden. Ich konnte Ihren Antrag unmöglich annehmen."
Reed war wie benommen und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. „Sind Sie sich dessen ganz sicher?"
„Natürlich", erwiderte sie. „Glauben Sie ernsthaft, ich würde mir Liebe und Glück versagen, wenn ich mir dessen nicht sicher wäre?"
„Nein, bloß ..."
„An jenem Tag erzählte mir mein Vater, man habe schon immer gemunkelt, dass es die eine oder andere ...
Absonderlichkeit ... bei den de Winters gäbe. Lord Jasper de Winter beispielsweise, der Winterset hat erbauen lassen, war gelinde gesagt recht eigen. Meine Mutter war sich dieser Erblast lange Zeit gar nicht bewusst, da sie bei einer Tante mütterlicherseits in London aufwuchs und der Wahnsinn sich oft erst in späteren Jahren bemerkbar macht. Als sie meinen Vater heiratete, ahnte sie vielleicht die schreckliche Last ihrer Familie, sicher war sie sich indes nicht. Und es dauerte auch tatsächlich noch einige Jahre, bis sich die ersten Symptome bei ihrem Bruder zeigten."
„War das Ihr Onkel, der Winterset verlassen hat?"
Anna nickte. „Wie die meisten hier in der Gegend, haben Kit und ich lange Zeit geglaubt, dass unser Onkel nach Barbados ausgewandert sei. An jenem Tag in seinem Arbeitszimmer erzählte mir mein Vater jedoch, dass die Geisteskrankheit meines Onkels, die ganz harmlos begonnen hatte, im Laufe der Jahre immer schlimmer geworden war. In den wenigen klaren Momenten, die meinem Onkel geblieben waren, bat er schließlich meinen Vater um Hilfe. Zusammen überlegten sie sich einen Plan, der meinem Onkel erlaubte, so zu leben, wie ... wie seine Krankheit es von ihm verlangte, und zugleich der Familie die Schmach zu ersparen. Onkel Charles hat nie gewollt, dass Kit und ich davon erfahren, denn er hätte es nicht ertragen, wenn wir uns seiner geschämt hätten."
Ihre Stimme brach, und sie war erneut den Tränen nah. Unwillkürlich kam Reed einen Schritt auf sie zu. „Oh Anna ..."
Entschieden schüttelte sie den Kopf und wich zurück. „Nein, bitte nicht. Ich will nicht, dass Sie mich bemitleiden.
Sie sollten überhaupt nichts für mich empfinden. Aber lassen Sie mich erst noch zu Ende erzählen."
Reed blieb reglos stehen. Das Blut stieg ihm heiß in die Wangen, aber er hielt seine Verärgerung zurück. „Erzählen Sie."
Ein wenig verunsichert betrachtete sie ihn. „Sie müssen mir versprechen, dass Sie niemandem auch nur ein Wort davon sagen werden."
„Ich verspreche es."
„Mein Onkel ist nicht ausgewandert - zumindest nicht nach Barbados. Er ist in eine kleine Hütte tief im Wald bei Craydon Tor umgesiedelt. Dort lebt er seitdem völlig zurückgezogen, nur sein treuer Kammerdiener ist bei ihm.
Niemand sonst weiß davon, außer mir und Kit und unserem Wildhüter, der den beiden zu essen bringt. Nicht einmal Mr. Norton, der sich als unser Anwalt um die Vormundschaftsregelungen gekümmert hat, zweifelt daran, dass Onkel Charles weit weg von hier ist. Die Wahnvorstellungen meines Onkels sind sehr komplex. So glaubt er beispielsweise, dass ..." Anna seufzte, bevor sie weitersprach. „Er ist davon überzeugt, der letzte legitime Nachfahre der Stuarts zu sein. Ich habe es nie ganz verstanden, aber er ist tatsächlich in der Lage, einen sehr ausführlichen Stammbaum des Königshauses zu zeichnen, der bis zu ihm selbst reicht. Und er denkt, dass die Königin ihn deshalb beiseite schaffen lassen will, da er ja schließlich einen legitimen Anspruch auf den Thron hat."
„Ach, du lieber Himmel..."
Anna sah Reed lange an. „Das ist eigentlich noch die normalste seiner Wahnvorstellungen. Onkel Charles meint, dass die Königin gedungene Mörder
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