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Das Geheimnis

Das Geheimnis

Titel: Das Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Verwirrung.
    Schließlich brach Sano die Stille: »Darf ich hereinkommen?«
    Einem Befehl, ihn einzulassen, hätte Reiko sich widersetzt, doch gegen Sanos Bitte konnte sie sich nicht wehren. Sie ließ ihn ins Zimmer und schloss die Tür hinter ihm. Alle anderen Bewohner der Villa schliefen; Reiko und Sano waren so allein und ungestört wie nie zuvor. Sanos bislang ungekannte Verletzlichkeit machte Reiko Sanos Gegenwart nur umso bewusster; die Barriere des Zorns war gefallen. Zum ersten Mal empfand Reiko sie beide als Eheleute, nicht als Gegner, und sie spürte ein Zittern in ihrem Inneren. Irgendetwas ging dort vor.
    Um ihre Unruhe zu überspielen, platzte Reiko heraus: »Ich hatte nicht mit dir gerechnet.« Gleichzeitig sagte Sano: »Verzeih, dass ich dich so spät noch störe.« Nach einer verlegenen Pause fuhr Sano fort: »Ich habe deine Nachricht erhalten und möchte dir dafür danken. Du hast mich vor einem schweren Fehler bewahrt.«
    Er berichtete, was bei Fürstin Keisho-in und Priester Ryuko geschehen war. Entsetzt erkannte Reiko, wie nahe sie beide dem Verderben gewesen waren, und verspürte tiefe Erleichterung. Doch die Frage, was mit ihrer Ehe war, blieb bestehen. So wie bisher konnte es nicht weitergehen, sonst würde der ständige Krieg zwischen ihnen sie beide zermürben. Aber wenngleich Reiko sich so stark zu Sano hingezogen fühlte wie nie zuvor, war sie nicht bereit, ihre Träume von Freiheit aufzugeben – erst recht nicht jetzt, nachdem sie ihren Wert als Ermittlerin unter Beweis gestellt hatte. Als Sano verstummte, wandte Reiko das Gesicht ab, damit er nicht in ihm lesen konnte, dass die widerstreitendsten Gefühle in ihr tobten.
    »Reiko-chan.« Zu ihrem Erstaunen kniete Sano vor ihr nieder. »Ich habe deine Fähigkeiten vollkommen falsch eingeschätzt und bitte dich, meine Entschuldigung anzunehmen. Wäre ich ein halb so tüchtiger Ermittler wie du, hätte ich die Verschwörung von Kammerherr Yanagisawa vielleicht früh genug aufgedeckt und dadurch viel Ärger vermieden.« Er lächelte reumütig. »Aber ich war dumm. Und blind. Und verbohrt.« Die Worte kamen ihm stockend über die Lippen, als würden sie ihm Schmerz bereiten. »Ich hätte von Anfang an auf dich hören und deine Hilfe nicht so rasch zurückweisen sollen.«
    Reiko blickte fassungslos auf ihn hinunter. Ein Samurai, der sich vor einer Frau erniedrigt und zugibt, dass er im Irrtum gewesen ist? So sehr Reiko seinen Mut und seine Hingabe an Recht und Gerechtigkeit bewunderte, so sehr bewunderte sie nun seine Demut. Sie wusste, dass es einer größeren Charakterstärke bedurfte, die eigenen Fehler einzugestehen, als Schwertkämpfe auszufechten. Der Widerstand, den sie Sano bislang entgegengebracht hatte, verflüchtigte sich.
    »Es fällt mir schwer, anderen Menschen zu vertrauen«, fuhr Sano fort. »Ich versuche stets, alles selbst zu tun – zum Teil deshalb, weil ich niemandem wehtun möchte, vor allem aber, weil ich bisher der Meinung gewesen bin, es besser zu können als andere.« Die Röte stieg ihm in die Wangen, und er redete schneller, als wolle er zu Ende sprechen, bevor er den Mut verlor. »Du hast mir gezeigt, was für ein selbsttrügerischer Dummkopf ich gewesen bin. Du hast recht daran getan, deine eigenen Nachforschungen weiterzuführen und dein Schicksal selbst in die Hände zu nehmen. Ich könnte dir keinen Vorwurf machen, würdest du lieber zu deinem Vater zurückkehren, als mit mir zusammenzuleben. Wenn du die Scheidung wünscht, bin ich einverstanden.
    Aber wenn du mir Zeit gibst, mich zu bessern … und die Gelegenheit zu lernen, dir der Ehemann zu sein, den du verdienst …« Er holte tief Atem. »Was ich sagen will … Ich möchte, dass du bleibst. Weil ich dich liebe, Reiko.« In seinen Augen lagen Verlangen und Leidenschaft; dann wandte er den Blick ab. »Und ich … Ich brauche dich.«
    Hinter seinen stockenden Worten glaubte Reiko förmlich zu hören, wie gewaltige Festungsmauern in sich zusammenstürzten. Dann blickte Sano sie wieder an. Die Zögerlichkeit war von ihm abgefallen, und seine Stimme klang klar und fest. »Ich brauche dich. Nicht nur als Gemahlin oder als die Mutter meiner Kinder, sondern als die Frau, die du bist. Als Partnerin bei meiner Arbeit. Als Gefährtin und Kameradin.«
    Reiko hatte Mühe, alles aufzunehmen, was er sagte. Sano erwiderte nicht nur ihre Liebe, sondern bot ihr eine Ehe an, in der sie selbst die Bedingungen festsetzte! Sie konnte ihn haben, ohne sich selbst aufgeben zu

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