Das geheimnisvolle Tuch
Fraß geben!“ Er deutete zu einem kleinen Hügel, auf dem ein Galgen stand, an dem eine Figur im Wind baumelte. „Er schaffte es nicht, was ich ihm auftrug. Nun schläft er für immer am Galgenbaum. Erbarm dich seiner Seele und vollende das, was er angefangen hat, damit er wieder Frieden findet.“
„Pah!“, rief Vinc und wiederholte: „Pah! Das ist doch nur eine Strohpuppe. Die hatte doch der dämliche Jim mit seiner Bande dorthin gehängt, um einen seiner Kumpanen zu erschrecken.“
Der Berg auf dem der Galgen stand, sah aus wie der in der Nähe des Heimatstädtchens.
„Eine Strohpuppe! HA, HA ,HA!“, sagte der Unhold laut lachend. „Du gefällst mir. Dein Mut gefällt mir. Nicht jeder kann mich an der Nase herumführen ohne eine auf sie zu bekommen.“
Vinc horchte auf. Waren dies Worte eines Bösewichts? Er merkte, dass sein dreistes Auftreten genau richtig war.
„Was hast du denn der Strohpuppe aufgetragen?“, fragte Vinc weiterhin tapfer.
„Die Strohpu …“, er unterbrach sich, „ich meine die…“, er unterbrach sich etwas verwirrt erneut. „Ich meine der da baumelt, war groß und stark, aber ziemlich dumm. Denn zu der Aufgabe musst du Verstand haben. Er hängt da schon zweihundert Jahre. Deine Generation ist klug. Du wirst das schaffen, was in seinem Geist nicht vorhanden war, nämlich Klugheit und scharfes Denken. Siehst du dieses Haus da?“ Er deutete mit seiner Klaue auf das Waldhaus.
„Ja!“
„Was!“, schrie er.
„Ja!“, wiederholte Vinc.
Er senkte den Kopf herunter, sein Atem roch widerlich. Das Ohr, beachtlich im Ausmaße, befand sich dicht vor den Augen des Jungen. Ekelhaft, das Ohrenschmalz zu sehen, das klebrig gelb aus der Muschel quoll. „Ja, ich sehe es“, sagte Vinc etwas kleinlaut, um nicht den Zorn dieses Unwesen zu wecken.
„Dort wirst du für mich hineingehen und eine Aufgabe erfüllen. Ich brauche die Kugel der Hexe. Die wirst du zu mir bringen und wenn nicht, dann ...“ Er deutete erneut zum Galgenberg. „Er braucht Gesellschaft und die Krähen….“ „Frisches Stroh…“, unterbrach Vinc dreist
„Strohfleisch. Äh! Äh! Puppen… Äh! ÄH! Du weist schon was ich meine!“, schrie der Unhold nun doch verärgert.
„Was machst du danach mit mir, wenn ich dir dieses Ding bringe?“
„Dann darfst du gehen!“
„Und wenn du dein Wort nicht hältst?“
„Du wagst es, das Wort von einem Dämon zu bezweifeln!?“
„Nein! Nein!“
„Wollte ich dir auch geraten haben!“
„Wo soll ich diese Kugel hinbringen. Gleich hierher? Wartest du?“
„Ho! Ho! Ho! Du denkst, ich werde solange auf dich warten?“
Vinc wurde hinsichtlich der ungewissen Zeit misstrauisch.
Der Dämon verwandelte sich plötzlich zu Rauch und verschwand.
Vinc bemerkte, trotz seiner angespannten Nerven, ein leichtes angenehmes Prickeln. Er fühlte sich irgendwie befreit, ohne dessen Ursache festzustellen, da sich an seiner jetzigen Situation nichts geändert hatte. Das einzige, was ihn zurzeit beunruhigte, war, dass der Unhold die Frage nach dem Termin unbeantwortet ließ.
Eine trügerische Stille breitete sich aus.
Tief durchatmen war im Moment der Ruhe angeraten, damit die zitternden, angespannten Nerven sich wieder normalisierten und die Blicke in die Gegend klarer und objektiver wurden.
Die Region um ihn herum gaukelte ein trügerisches Bild der Idylle und des Friedens vor. Er ahnte die Gefährlichkeit dieses Ortes, darüber täuschte auch nicht hinweg, dass der Galgenbaum nicht mehr vorhanden war.
Ein seltsamer Schein beleuchtete das Waldhaus.
Doch was war das? Es schien, als würde noch ein Stockwerk aufgesetzt. Unter dem Haus formte sich ein Hügel und wuchs in die Höhe. Aus den Fenstern, die sich ebenfalls zahlreich formten, strahlte gelbes Licht, das die Neugier, aber auch gefährliche Willenlosigkeit des Jungen, hervorrief. So schritt er denn, innerlich etwas gefestigter, aber wie gebannt, auf den Eingang des bizarr verwandelten Bauwerks zu.
Hatte er als Einlass eine hölzerne Tür erwartet, so wurde er von einem massiven Steintor überrascht. Es bestand ein Widerspruch zwischen dem steinernen Zutritt und der hölzernen Einkleidung dieses geheimnisvollen Baues.
Er untersuchte den Eingang genauer, um einen Öffnungsmechanismus zu finden, aber außer Verzierungen konnte er nichts feststellen. Wegen der Dunkelheit waren diese kleinen eingemeißelten Figuren und Symbole kaum zu erkennen und durch die Verwitterung des mit leichtem Moos und Dreck überzogenen
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