Das geheimnisvolle Tuch
bemerkte er, dass die Furcht wich und sich dem unbedingten Überlebenswillen unterordnete.
Dann lag sie vor ihm, eine Fläche voller zuckender Flammen, in deren Mitte ein Dreizack schwebte. War er in dem Reich des Bösen angelangt, dessen Symbol im Zentrum tanzte, so als würde es von einem unsichtbaren Wesen geführt? Wer könnte denn einer Hitze widerstehen und im Feuer sich aufhalten, ohne zu verbrennen? Er glaubte nicht daran, was ihm dazu einfiel. Das Wort Teufel brannte in seinen Gedanken wie das Feuer vor ihm.
„Komisch“, sagte er zu sich und setzte sich etwas erschöpft auf die unterste Stufe, nahe an die Flammen. „Eigentlich müsste die Hitze mir den Schweiß auf die Stirne treiben oder gar die Haut versengen, aber nichts geschieht.“
Er sah halb geblendet dem Tanz der Flammen zu, dabei überfiel ihn quälender Durst. Er spürte Verlangen nach etwas Frischem, einem eisigen Getränk. Vielleicht eine Einbildung angesichts des Feuers, konnte aber auch die Wirkung des Giftes sein, das ihn an dieses Lebensnotwendige erinnerte. Die Zeit ohne Labe forderte ihren Tribut und erinnerte seinen Körper an das Unentbehrliche.
Zeit! Dieses Wort ließ ihn aufspringen. Seine ständige schwindende Begleiterin, die sich Zeit nannte, ließ ihn nicht mehr zur Ruhe kommen. Er streckte seinen Arm nach vorn, um ihn dicht über die Flammen zu halten. Er bemerkte keinen Schmerz, der ihn zurückzucken ließ.
Dieses Feuer war kalt. Er schmunzelte unwillkürlich über das Abwegige, das seine Feststellung erkennen ließ. „Ich glaube, ich fange an zu spinnen. Kaltes Feuer.“
Er fing laut an zu lachen. Er steigerte sich in seiner Heiterkeit und merkte nicht, dass es eigentlich eine Hysterie war, die einzig das Ziel hatte, seine gespannten Nerven zu befreien. „Irgendjemand möchte mich da hineinlotsen, damit ich jämmerlich verbrennen soll. Ohne mich.“ Er stieg eine Stufe zurück und schrie: „Hörst du! Ohne mich!“
Erschöpft fiel er nach unten, ausgerutscht am Rand der Treppe. Nun lag er in der Glut und er wusste, sein Ende war da, denn sein Blick war zum Stufenaufgang gerichtet. Er sah, dass er den rettenden Ausgang nicht mehr ersteigen konnte, da er unüberwindlich hoch war, so als sei sie nach seinem Fall emporgewachsen. Die Mauer, die einen Gang nach oben verhinderte, war weg. Sollte er gelockt werden, um die Stiegen zu erklimmen? Nie das Ende erreichend, solange er aufstieg, bis er erschöpft war? Bis er tot umfiel?
Er drehte sich in die Richtung, wo er den Dreizack vermutete. Er sah nur die lohende Feuerwand. Als er sich mühsam aufstellte, bemerkte er zu seiner Verwunderung, dass sich um ihn eine freie Fläche gebildet hatte, auf der keine Flammen tanzten. Er schritt auf die Glut zu, sie teilte sich und gab einen breiten Weg frei.
Bei seinem Vorwärtsgehen begleitete ihn die ständige Angst, das Feuer könnte inmitten des Raumes wieder auflodern und ihn einkreisen. Zu weit wäre er weg von dem rettenden Rand. Trotz der Schwäche, die sein Körper langsam anzeigte, durchquerte er den Raum zügig, um erneut an ein Hindernis zu stoßen. Einer Wand mit einer verschlossenen Tür.
Er untersuchte diese glatte ebene Fläche. Kein Zeichen eines versteckten Mechanismus oder ein zu enträtselndes Symbol.
Seine Blicke fielen seitlich in den inzwischen fast dunklen Raum, dessen jetzige Lichtquelle nur noch ein spärlich flackerndes Flämmchen war, das wohl auch bald erlöschen würde. Das Feuerinferno sowie der Dreizack entschwanden bereits während seiner Durchquerung.
Ein Blinken erregte die Aufmerksamkeit von Vinc.
Auf einem Pult lag ein mysteriöser Gegenstand, der sich bei genauerem Hinsehen als ein Buch entpuppte. Es blinkte unaufhörlich das Wort „Ratsam“, das sich golden von dem blauen Einband abhob.
Vinc erkannte, dass er das Buch schon einmal gesehen hatte, nämlich an der Mauer beim Eingang bei dem Tor ohne Wiederkehr. Aufgezeichnet waren die Dornenhecken mit dem Engel und den verbundenen Augen und darunter eine Fratze. Wieder grübelte er über den Sinn, jedoch dessen Bedeutung blieb ihm weiterhin unerklärlich verborgen.
Ängstlich zögernd wagte er, dieses Kleinod zu öffnen, mit dem Ziel, dessen Geheimnis zu enträtseln. Zunächst sah er eine weiße leere Seite, doch nicht lange, denn wie von unsichtbarer Hand geschrieben erschienen Buchstaben und reihten sich zu einem Satzgefüge zusammen.
’Fremdling, der du mich findest, zögere nicht, mich mitzunehmen. Denn dein Weg wird gefüllt sein mit
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